Kirche aktuell

Zum Frauentag am 8. März Mut zur Wut!

Die international engagierte katholische Frauenrechtlerin Chantal Götz erklärt, warum es Mut zur Wut braucht und auch Kirchenfrauen stolz sein sollten, Feministinnen zu sein. Und warum der Internationale Frauentag am 8. März ein kirchlicher Feiertag sein sollte.
04. März 2020 Katholische Kirche im Kanton Zürich

Bis ins Jahr 2000 fragte ich mich insgeheim, ob es den Internationalen Frauentag am 8. März wirklich braucht. Schließlich müssten die Frauen doch 365 Tage im Jahr gefeiert werden! Vielleicht fragte ich mich das auch, weil ich in der Schweiz aufgewachsen bin, wo ich mich immer als «gleichberechtigt» fühlte. 

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Erst durch die Arbeit in der Fidel Götz Stiftung, die ausschließlich mit katholischen Organisationen und der institutionellen Kirche arbeitet, wurde ich eines Besseren belehrt: Ich sah eine Ungerechtigkeit bzw. Ungleichheit und Diskriminierung, die mein Wertesystem aufrütteln ließ. Ich sah das Kirchensystem zum ersten Mal durch die Augen von engagierten Ordensfrauen - Frauen, die überall, oft am Ende Welt, Unglaubliches leisten, um Menschen zu helfen und diejenigen sind, die die eigentliche Mission der Kirche leben und umsetzen. 

Ich stellte fest, dass «meine Kirche» nicht nur eine Glaubensgemeinschaft darstellt, sondern institutionell und organisatorisch einer Nichtregierungsorganisation (NGO) gleicht, schon fast einem Weltkonzern, in der hauptsächlich Frauen die Arbeit tun, aber keine Stimme im System geschweige in der Führung haben. 

Das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, abgekürzt UN-Frauenkonvention oder CEDAW wurde vom Vatikan, der Herz-Administration der Institution Weltkirche und zugleich Stadt-Staat, nie unterzeichnet – obwohl doch der eigentliche Beitrag zur kirchlichen Mission bei den Frauen liegt. Die katholische Kirche als «Weltarbeitgeberin» gesehen kann auch heute noch keine gender policy nachweisen, die für die gesamte Weltkirche gilt. Dass Frauenrechte Menschenrechte sind, hat keine Gültigkeit für die größte humanitäre Organisation der Welt! Ist das nicht absurd und muss frau da nicht einfach mal wütend werden?

Feminismus in der Kirche

Wenn man darüber spricht, was der Gleichberechtigung von Frauen in der Kirche im Weg steht, dann kreist das Gespräch meistens um Männer - hier in unserem Falle um die 0.01% geweihten Männer der gesamten 1.3 Milliarden Gläubigen - die nur deshalb auf den Chefsesseln sitzen und ihre Macht ausnutzen, weil es auf einem patriarchalen System beruht. Es rechtfertigt die Männer, die nichts ändern möchten und weiterhin wegsehen. 

Aber das ist nur die eine Seite der Münze. Das Patriarchat ist ein System, das auch von vielen katholischen Frauen nach wie vor unterstützt wird.

Ich möchte daher hier ganz bewusst über uns Frauen sprechen. Vor ein paar Tagen bekam ich diese Email (keine Ordensfrau!): «Furchtbar! Betet, betet – Botschaft der Gottesmutter! Sehr geehrte Frau Goetz, wenn ihr Frauen wirklich etwas Gutes tun wollt, hört endlich auf, anhaltend unseren Glauben und unsere Kirche zu attackieren. Mit tiefbesorgten Grüssen M.S.» 

Liebe (kritisierende) Frauen, ihr macht mich wütend! Warum hinterfragt ihr nicht das vorherrschende kirchliche System, statt der eigenen Schwester ans Schienbein zu treten? Das System nennt sich Patriarchat und gemäß Definition wertet es ganz bewusst Frauen ab – und zwar in allen Belangen. Es zielt darauf ab, die Frauen machtlos oder mundtot zu machen oder ihre Meinungen zu unterdrücken. Auch das Wort «Feminismus» ist bei vielen von uns Frauen in der Kirche fast ein Sündenfall. Himmelschreiend und nicht nachzuvollziehen aus meiner Sicht. Ziel des Feminismus ist die Gleichberechigung. Gleichberechtigung bedeutet, dass wir daran glauben, dass wir ein Recht auf ein integreres und authentisches Leben haben, ein Recht auf Bildung, auf bezahlte Arbeit. Ein Recht auf Würde!

Mut zur Wut

Aber das kirchliche System gibt uns Frauen keine Stimme oder Mitsprachrecht. Wir werden ignoriert, in gewissen Ländern immer noch bestraft, getötet, schikaniert und gedemütigt. Hier kommt mein Mut zur Wut hoch: Nur weil ich eine Frau bin, lass ich mir doch diese Grundrechte von 0.01% männlich ordinierten Entscheidungsträgern nicht absprechen! Und ich werde auch keine Ruhe geben, bis meine eigene Kirche diese umsetzt und lebt. Ich müsste mich zutiefst schämen, wenn ich mich nicht für unsere Grundrechte einsetze, die in der Gesellschaft gelten, aber nicht in der Kirche!

Ich bin wohl zutiefst schweizerisch geprägt und habe meine Matura bei den Pallottinern gemacht, als dass ich mir diese Werthaltung nehmen lasse - schon gar nicht von «Mitschwestern» in der Kirche.  Es brauchte anfänglich Mut – mit 30 Jahren -, gegen die Hierarchie anzutreten, aber die Wut in mir hat positive Energie und Kreativität ausgelöst, um Wege zu suchen, dass früher oder später fest verankerte Menschenrechte auch in unserer Kirche Gültigkeit haben müssen.

Schluss mit Kirchen-Patriarchat

Liebe nörgelnde Frauen, durch euer Schweigen bzw. eure negativen Äußerungen den eigenen Mitschwestern und -brüdern gegenüber,  macht ihr die Kirche «mit-kaputt». Das patriarchalische Kirchensystem hat uns Frauen über Jahrhunderte hinweg zum Schweigen verdonnert, und die frischen, mutigen «Catherina von Siena-Stimmen» sind verloren gegangen. Doch wir gewinnen diese Stimmen zurück: Wir erkennen die Frauenfeindlichkeit in uns selber und in der Kirche. Damit beenden wir das Patriarchat und stehen für gleiche Würde und gleiche Rechte auf.

Ich bin stolze Feministin, die begeistert aufsteht, um den Weg für eine emanzipierte Kirche zu ebnen! 

Die Kirche ist nach Worten von Papst Franziskus eine «Geschichte der Liebe». Unser aller Auftrag ist es, das Werk der Liebe in der Welt umzusetzen. Diese Liebe, auch «Kirche» genannt, tragen und kreieren wir Frauen. Ohne uns gäbe es dieses Werk nicht.  Es sind die 0.01% der entscheidungsbefugten Herren, die nicht fähig sind zu erkennen, welche Liebe es braucht, um dieses Werk zu führen. Männer, die nicht über die notwendige  Managementerfahrung verfügen bzw. über mangelnde finanzielle, ökonomische oder politische Ausbildungen, die klerikalen Missbrauch decken, finanzielle Misswirtschaft und mangelnde Fürsorge verantworten, die nicht sagen und nicht fragen können, wenn sie etwas nicht wissen.

Der Papst braucht einen Frauenrat

Ich plädiere für eine weibliche CEO in der Kurie, die den Papst «in Liebe» berät. Es ist unerklärlich, wie der Papst nur Kardinäle in seinem engsten Beraterkreis haben kann, wo die Geschichte lehrt, dass reine Männerbünde selbst große Visionen zum Scheitern bringen. Bereits vor drei Jahren hat Voices of Faith ihm vorgeschlagen, sich dringendst ein Frauengremium beratend zur Seite zu stellen. Aber Franziskus ist bei aller Offenheit und Leidenschaft immun gegen den Rat von Frauen. 

Ich plädiere dafür, dass wir Frauen für die «Geschichte der Liebe» Verantwortung übernehmen! 

Meine Hoffnung und mein Engagement sehe ich zurzeit darin, dass wir als wachsendes Netzwerk von katholischen Frauen weltweit viele Frauen sensibilisieren können, sich mit vereinten Kräften, Frauensolidarität und Humor für ihre eigene Kirche einzusetzen. Das eigene Haus miteinander aufräumen, hat höchste Priorität. Wir sollten solange stolze Feministinnen sein und den 8. März als einen offiziellen kirchlichen Feiertag handhaben, bis Machtmissbrauch und Ausgrenzung beendet sind und gleiche Würde und gleiche Rechte auch im Vatikan und in der Weltkirche gelten.

Wir sind die Veränderung!