Kirche aktuell

Was bleibt vom Fest nach dem Fest?

Was bleibt vom Fest nach dem Fest?
Pfarrer in Winterthur
Hugo Gehring
Hugo Gehring
28. Dezember 2017

Am 28. Dezember sei die Frage erlaubt: Was bleibt vom Fest nach dem Fest? Die kürzeste Definition von Religion – nach Johann Baptist Metz, einem grossen zeitgenössischen Theologen – lautet: „Unterbrechung“. Wir Schweizer würden vielleicht eher „Unterbruch“ sagen. Aber so oder so:

Religion unterbricht unseren zweckgerichteten Alltag durch einen Freiraum, der eine andere Dimension ins Spiel bringt.

Einfaches Beispiel: ein Stossgebet in der Not. Dieses unterbricht einen kurzen Moment lang die Bedrängnis und erinnert daran, dass über allem, in allem „einer“ da ist und mit mir ist.

Gesellschaftliche Unterbrechung durch Religion

Die grösste gesellschaftliche Unterbrechung durch Religion geschieht bei uns ohne Zweifel in der Advents- und Weihnachtszeit. Unsere Welt verändert sich für einige Wochen komplett. Auf Schritt und Tritt ist der Festglimmer wahrnehmbar. Natürlich hängt diese Verwandlung des alltäglichen Grau-in-Grau in den feierlichen Festtagsglanz mit der Geschäftemacherei zusammen.

Hugo Stamm, der inzwischen pensionierte „Sektenboxer“ des Tages-Anzeigers hat die einleuchtende These vertreten, dass sich Religion dort am längsten hält, wo sie sich mit dem Kommerz verbindet. Mit grossem Bedauern vermutet er, dass darum wohl seine Enkelkinder noch mit der Geburtsgeschichte Jesu in Berührung kommen werden. Auch wenn sich mein Mitgefühl mit Hugo Stamm (trotz Vornamenvetternschaft) wegen der unwillkommenen biblischen Kenntnisse seiner Nachfahren in Grenzen hält, stimmt ich ihm zu: Die Zeit rund ums Weihnachtsfest stellt sicher für die Mischung von wirtschaftlichen Interessen und religiösem Inhalt einen Höhepunkt dar.

Was bleibt vom Fest?

Am 28. Dezember sind die vielen Geschenkverpackungen und das Weihnachtspapier bestimmt verräumt. Bald kommt die Müllabfuhr. Vielleicht steht der Weihnachtsbaum noch. Viele Ladenlokale rüsten auf Ausverkauf um. Das Dezemberhoch geht ins Januarloch über.

Was bleibt vom Fest – ausser dem unvermeidlichen Kalorienüberschuss und dem eventuellen Geldmangel? Ich schlage vor: Es ist die Menschwerdung.

Unsere bleibende Aufgabe das ganze Jahr über besteht darin, Mensch zu werden. Dafür gibt der, den wir jeweils an Weihnachten als Krippenkind feiern, meines Erachtens wichtige Impulse. Er hat uns in Vielem gezeigt, was Mensch-Werden bedeutet.

Drei Ideen dazu!

  1. Zuerst der Umgang mit den Schwachen: Seit das Gleichnis vom barmherzigen Samariter erzählt wird, der sich des Überfallenen, obwohl er als Israelit nicht sein Volksgenosse, sondern eher sein Feind ist, bedingungslos annimmt, fliesst ein Wärmestrom der Empathie und Hilfsbereitschaft in die Geschichte der Menschheit ein. Die heute selbstverständliche allgemeine Krankenpflege ist die schönste Frucht davon.
  2. Dann der Umgang mit den Stärken: Statt mit ihnen nur Imponiergehabe zu inszenieren und eigene Vorteile anzustreben, könnten wir damit dem Gemeinwohl dienen. „Ihr wisst, dass die Mächtigen ihre Macht missbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein!“ sagt der Meister aus Nazaret. „Wer bei euch der Erste sein will, sei der Diener aller.“
  3. Schliesslich der Umgang mit den Fremden: Sie sind von der Schöpfung her gesehen unsere Mitmenschen, Schwestern und Brüder der einen Menschheitsfamilie. In der Bibel steht: „Du sollst den Fremden lieben wie dich selbst“, besser übersetzt: „denn er ist wie du“!