Kirche aktuell

Papst betont Lehrautorität der Gläubigen

Papst betont Lehrautorität der Gläubigen
Redaktionsteam
Katholische Kirche im Kanton Zürich
Die Beiträge im Blog geben die Haltung der Autoren wider und müssen nicht in jedem Fall mit der offiziellen Haltung der kirchlichen Körperschaft übereinstimmen.
Katholische Kirche im Kanton Zürich
04. Dezember 2015

Bemerkenswertes trug sich am 15. November 2015 in der evangelisch-lutherischen Gemeinde Roms beim Besuch von Papst Franziskus zu. Jesuitenpater Josef Bruhin hat als renommierter Ökumene-Vorreiter und Experte genau hingeschaut und für uns aufgeschlüsselt. Haben wir schon verstanden, welch prophetisches Zeichen Papst Franziskus gesetzt hat?

Souveräner Papst Franziskus – Überraschter Vatikan

Auf die Frage einer Frau, die mit einem katholischen Italiener verheiratet ist, was sie mit ihrem Mann denn tun könnte, um endlich gemeinsam zum Abendmahl gehen zu können. Der Papst gab ihr eine Antwort, die der Pfarrer der Gemeinde, Pastor Jens-Martin Kruse, „spektakulär“ nannte: „Wir haben seit Jahrzehnten auf so ein Signal gewartet“.

Auf der anderen Seite war offenbar der Vatikan total überrascht. In der Wochenausgabe des deutschen „Osservatore Romano“ vom 20. November 2015 erschien ein unverständlicher Kurzbericht, der in keiner Weise festhielt, was Franziskus gesagt hatte. Erst in der Woche darauf wurden die ganzen Texte veröffentlicht.

Gewiss, die Worte des Papstes sind aufs erste – wie dies bei seinen Antworten öfters der Fall ist, uneindeutig  und können verschieden interpretiert werden. Im Zusammenhang der ganzen Feier  ist die Aussage aber eindeutig.

Der für die Ökumene verantwortliche Kardinal Kurt Koch reagierte zögerlich: „Die bisherigen Regelungen bleiben offensichtlich bestehen. Aber für den Papst ist die persönliche Beziehung zu Jesus Christus sehr wichtig. In dieser Spannung bewegt sich seine Antwort…. Dennoch ist die Art und Weise, wie der Papst geantwortet hat, neu.“

Kardinäle ringen um Worte

Kardinal Kasper, der Vorgänger Kochs, nannte die päpstlichen Worte „einen wichtigen Schritt“, während sie Kardinal Brandmüller als „reine Freundlichkeiten“ abtat (vgl. Die Zeit 26.11.2015).

Was geschah wirklich? In einer offiziellen Fragerunde zu Beginn der Begegnung konnten drei Gemeindemitglieder eine Frage an den Papst richten. Diese Fragen mussten vorgängig in den Vatikan geschickt werden, so dass die Antworten des Papstes keineswegs nur spontane Reaktionen waren, sondern überlegt und so gewollt.

Kind fragt Papst_Screenshot CTV

Kind fragt Papst_Screenshot CTV

Als Erster fragte ihn ein Neunjähriger, was ihm am Papstsein am meisten gefalle. Franziskus antwortete, Pfarrer sein. Diese Antwort war bereits ein programmatischer Hinweis auf seine Antwort zur zweiten Frage.

Frau fragt Papst_Screenshot CTV

Frau fragt Papst_Screenshot CTV

Diese zweite Frage stellte die 74 Jahre alte Frau Anke de Bernardinis. Sie ist Protestantin, Witwe und seit 22 Jahre wieder verheiratet mit einem 90 Jahre alten Italiener und überzeugtem Katholiken, der sich – einmal geschieden und wiederverheiratet – von der katholischen Kirche marginalisiert fühlt.

Franziskus konsultierte kurz seine Notizen und gab eine neun Minuten lange Antwort , die in der Kirche nicht nur in dieser Frage einiges in Bewegung setzen könnte.

Der Papst führte gleichsam einen Dialog mit sich selber, aber immer so, dass Frau Bernardis in den Fragen und Antworten voll miteinbezogen war, so dass sie eigentlich den gleichen Dialog mit sich selber hätte führen können.

„…Wenn wir das Abendmahl des Herrn teilen, erinnern wir daran und ahmen wir nach, tun wir das Gleiche, was Jesus der Herr getan hat. Und das Mahl des Herrn wird es geben, das Hochzeitsmahl am Ende wird es geben, aber dieses wird das letzte sein. Unterwegs hingegen, frage ich mich- und ich weiss nicht, wie antworten, aber ich mache mir Ihre Frage zu Eigen – da frage ich mich: das Abendmahl des Herrn zu teilen ist das Ende eines Weges oder die Stärkung auf dem Weg, um gemeinsam voranzuschreiten?“

Um die Frage zu beantworten, verweist der Papst auf die Taufe: „Aber haben wir nicht die gleiche Taufe? Und wenn wir die gleiche Taufe haben, müssen wir gemeinsam gehen.“ Und der Papst stellt fest, dass Lutheraner und Katholiken zur Stärkung und zum Wachstum der Taufgnade auf ihrem Lebensweg das Gleiche tun: den Glauben teilen und Leben in der Familie, gemeinsam beten, um Vergebung der Sünden bitten, die Kinder lehren, wer Jesus ist, in lutherischer oder katholischer Sprache. Und dann wörtlich: „Die Frage: ‚Und das Abendmahl?‘ Es gibt Fragen, auf die man – nur wenn man ehrlich zu sich selbst ist und mit den wenigen theologischen ‚Lichtern‘, die ich habe –  ebenso antworten muss…‘Das ist mein Leib, das ist mein Blut‘, hat der Herr gesagt, ‚tut dies zu meinem Gedächtnis.‘ Und das ist eine Stärkung auf dem Weg, die uns voranzuschreiten hilft.“

Und nun die entscheidende Antwort auf die Frage der Frau. „Auf ihre Frage antworte ich nur mit einer Frage: Wie kann ich es mit meinem Mann machen, damit das Abendmahl des Herrn mich auf meinem Weg begleitet? Es ist ein Problem, auf das jeder antworten muss. Ein befreundeter Pastor sagte mir jedoch: ‚Wir glauben, dass hier der Herr gegenwärtig ist. Er ist gegenwärtig. Ihr glaubt, dass der Herr gegenwärtig ist. Was ist der Unterschied?‘ – Nun, es sind die Erklärungen, die Deutungen…‘  Das Leben ist grösser als Erklärungen und Deutungen.

Nehmt immer auf die Taufe Bezug: ‚Ein Glaube, eine Taufe, ein Herr‘, sagt uns Paulus, und von daher zieht die Schlussfolgerungen. Ich werde nie wagen, Erlaubnis zu geben, dies zu tun, denn es ist nicht meine Kompetenz. Eine Taufe, ein Herr, ein Glaube. Sprecht mit dem Herrn und geht voran. Ich wage nicht mehr zu sagen.“

Die Kompetenz des Papstes

„Es ist nicht meine Kompetenz“ bedeutet nicht, dass der Papst nicht ohne seine Theologen oder seine Glaubenskongregation entscheiden will, sondern es gibt Fragen, die nicht das hierarchische Lehramt zu entscheiden hat.

Es heisst auch nicht, dass er nicht mit seiner Jurisdiktionsgewalt die Disziplin der Sakramenten-Spendung ordnen könnte. Aber in einer so gearteten Frage soll weder der Papst, noch der Bischof, noch der Pfarrer oder der „Pfarrer im Papst“ (darum des Papstes Antwort auf die erste Frage) eine Entscheidung fällen, sondern die Laien selber.

Der „sensus fidelium“ wird jeden und jede einzelne Gläubige befähigen, im Heiligen Geist und im Gebet die für sie richtige Antwort zu geben.

Lehrautorität und ökumenischer Dialog

Die Lehrautorität der Gläubigen in Anwesenheit mehrerer Kardinäle so deutlich aufzuzeigen, ist zweifelsfrei eine Neuheit im ökumenischen Dialog. Dass der Papst in der Christuskirche in Rom die Ökumene unbedingt voranbringen wollte, zeigt auch die Tatsache, dass er die vorbereitete Ansprache beiseitelegte und in seiner frei gehaltenen Ansprache sich für die christlichen Kirchen die „versöhnte Verschiedenheit“ wünschte, eine umstrittene Formulierung des evangelischen Theologen Harding Meyer. Und zu guter Letzt setzte Franziskus auch dadurch noch ein starkes Zeichen, dass er als Gastgeschenk einen goldenen Messkelch überreichte, so er dies beim Besuch von katholischen Pfarreien in Rom zu tun  pflegt.

P. Josef Bruhin SJ_FOTO_Jesuiten Schweiz

P. Josef Bruhin SJ_FOTO_Jesuiten Schweiz

P. Josef Bruhin SJ trat 1954 in den Jesuitenorden ein. Er war Provinzial der Schweizer Jesuiten, Redaktor der Zeitschrift “Orientierung“ sowie Direktor des Instituts für weltanschauliche Fragen. Viele Gremien konnten auf seine Mitarbeit zählen, unter anderem die Kommission Justitia et Pax der Schweizer Bischofskonferenz, die theologische Kommission des Fastenopfers oder die Paulus-Akademie, deren Stiftungsratspräsident er 1997 – 2009 war.