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Noah: Der Bibelfilm für Erwachsene

Noah: Der Bibelfilm für Erwachsene
Redaktionsteam
Katholische Kirche im Kanton Zürich
Die Beiträge im Blog geben die Haltung der Autoren wider und müssen nicht in jedem Fall mit der offiziellen Haltung der kirchlichen Körperschaft übereinstimmen.
Katholische Kirche im Kanton Zürich
17. Oktober 2014

Wir kennen Noah aus Kinderbibeln, als Spielzeugset und sogar als Playmobil -Packung: Ein netter, älterer Herr mit herzigen Tieren, fürsorglich und harmlos. Dieser Noah bringt niemanden aus der Ruhe – doch dieser Noah setzt auch wenig in Bewegung. Hat die biblische Geschichte nicht mehr zu bieten? Gibt es einen Zugang zur Noah-Geschichte für Erwachsene?

Ein Zugang zu Noah für Erwachsene

Russell Crowe verkörpert Noah in Darren Aronofskys neuem Film ganz anders. Aber ist von einer Hollywoodproduktion mit einem 130-Millionen-Budget und einem Staraufgebot an SchauspielerInnen – neben Russell Crowe spielen Jennifer Connelly , Anthony Hopkins und Emma Watson – eine fundierte Auseinandersetzung mit der Bibel zu erwarten? Regisseur Darren Aronofsky und

Noah poster_lg Universal Pictures
sein Drehbuch-Coautor Ari Handel haben sich intensiv mit der biblischen Geschichte auseinander gesetzt. Und sie füllen die weiträumigen „Leerstellen“, die die biblische Erzählung seit jeher lässt (Noah redet z.B. bis nach der Sintflut kein einziges Wort). Sie tun damit das, was jüdische Schriftauslegung immer schon macht und auch christliche Bibellektüre seit einiger Zeit für sich entdeckt: Sie nehmen das „schwarze Feuer“ (die Buchstaben der Schrift) ernst und erschliessen zugleich das „weisse Feuer“, den Leer-Raum zwischen den unveränderlichen Buchstaben des heiligen Textes, mit Vorstellungskraft und Fantasie. Die Ideen für die Ausfüllung dieser Leerstellen sind teilweise aus der antiken jüdischen Literatur wie z.B. dem apokryphen Henochbuch und der jüdischen Tradition entliehen. So wurde Noah noch nie dargestellt. Die zahlreichen Ideen sind kreativ, originell und anregend. Damit das Filmerlebnis überraschend bleibt, sei hier nur so viel gesagt: Wenn in der biblischen Erzählung das Schlimmste vorbei ist, Noahs Familie und die Tiere also in der Arche sind und auf das Ende der Flut warten, bahnt sich im Film die eigentliche Katastrophe für Noah und seine Familie erst allmählich an.

Der Film nimmt den biblischen Mythos ernst

Der Film hat bisher eher kritische Besprechungen erhalten. Der Zürcher Tages-Anzeiger bezeichnete ihn abschätzig als „ bombastische Kinderlehre “ – immerhin nicht ohne zu betonen, das Buch (die biblische Erzählung) sei besser. Wir sind jedoch überzeugt: Der Film nimmt den biblischen Mythos – und darum handelt es sich bei der Sintflut-Erzählung, die ja schon Jahrtausende vor der Bibel in ganz unterschiedlichen Varianten und menschlich-theologischen Akzentuierungen erzählt wurde, im Wesentlichen – sehr ernst. Das wirkt manchmal bizarr , wenn z.B. geradezu leitmotivisch die Schlange und der Apfel ins Spiel kommen, die apokryphen „Wächterengel“ als steinverkrustete Wesen auftreten oder immer wieder unzweideutig inszenierte Schöpfungswunder geschehen.

Und auch ästhetisch kann man angesichts der deutlichen Anlehnung ans Fantasy-Genre à la „ Herr der Ringe “ und die zahlreichen Kampf- und Actionszenen sicher verschiedener Meinung sein. Doch indem der Film so ungebrochen in die (Bilder-)Sprache des Mythos eintaucht, legt er zugleich die ganze Kraft mythischer Erzählungen (wieder) frei: Mythen erzählen, „ was niemals war und immer ist “ (so der römische Historiker Sallust , 1. Jh. v. Chr.) und ermöglichen dadurch eine Auseinandersetzung mit zeitlosen Menschheits- und Gottesfragen. Darren Aronofsky und Ari Handel werfen so in ihrer Neuerzählung der Noah-Geschichte u.a. die verstörende Frage auf, ob Noah wirklich so gerecht ist, wie die Bibel es ihm zuschreibt, wie viel (Über-)Leben wir Menschen uns eigentlich selber zugestehen – und wie viel wir der Schöpfung zumuten können. Kann unsere menschliche Beziehungs-, Liebes- und Bindungsfähigkeit gegenüber den zutiefst destruktiven Verhaltensmustern, die auch in uns leben, dauerhaft die Oberhand gewinnen? Was die biblische Noah-Erzählung als Problem des Gottesbildes darstellt (und als Gottes Vernichtungswillens gegenüber der Menschheit zum Ausdruck bringt), wird hier zur überaus selbstkritischen Frage an die Menschen selbst. Pointiert formuliert: Bei Aronofsky/Crowe ist nicht Gott das Problem, sondern Noah .

Bibel: Entweder wörtlich oder ernst nehmen

„Entweder nimmt man die Bibel wörtlich, oder man nimmt sie ernst“ heisst es in einem Zitat, das unter anderen dem jüdischen Gelehrten Pinchas Lapide zugeschrieben wird. Darren Aronofsky ist auf wundersame Weise beides gelungen. Das Ergebnis ist ein überaus anregender, aber auch überaus herausfordernder Film. Wer sich diese Auseinandersetzung ersparen möchte, sollte einen grossen Bogen um diesen Film machen und lieber bei der Playmobil-Variante von Noah bleiben. Das sei unbenommen. Wer dies tut, sollte jedoch nicht behaupten, er nehme die biblische Noah-Erzählung mit all ihren Herausforderungen und  Zumutungen für Menschen- und Gottesbilder ernst.

Eine Würdigung aus bibeltheologischer Sicht

Aus bibeltheologischer Sicht sei ein weiterer Pluspunkt des Filmes erwähnt. Er bringt viele verschiedene Bibeltexte miteinander ins Gespräch: neben der eigentlichen Noaherzählung in Gen 6-9 sind dies die Schöpfungserzählung in Genesis 1, die Paradiesgeschichten in Gen 2 und 3, die Kain-und Abel-Erzählung von Gen 4 – einer der Nachkommen Kains, Tubal-Kain (Gen 4,22) wird sogar zum grossen Gegenspieler des Noah – , der Stammbaum des Noah in Gen 5, die kurze Notiz über Gottessöhne und Riesen in Gen 6,1-4, aus denen wesentliche Filmfiguren entstehen bis hin zur dramatischen Erzählung der Opferung Isaaks durch seinen Vater Abraham in Gen 22. Und sogar die Ströme, die in der Vision des Propheten Ezechiel aus dem Tempel Gottes hervorbrechen (Ez 47), spielen für die Bildsprache des Filmes eine wichtige Rolle. Vielleicht ist die wesentliche Botschaft des Films im Hohelied 8,7 zusammengefasst. Und vermutlich gibt es noch viel mehr biblische Anspielungen und Zitate zu entdecken. Auf der Homepage von www.bibelwerk.ch ist ein Dossier eingerichtet, um solche Hintergründe des Filmes zusammen zu tragen. Die Bibel kann so als Gewebe (Textil) aus verschiedenen Erzählfäden und als Gespräch zwischen durchaus unterschiedlichen Stimmen sichtbar gemacht und erschlossen werden.

Der Trailer zum Film


Dieser Beitrag basiert auf einer Besprechung von Detlef Hecking und Peter Zürn von der Bibelpastoralen Arbeitsstelle des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks.