Kirche aktuell

Kirchenmusik: Trost spenden, beglücken, herausfordern

Kirchenmusik: Trost spenden, beglücken, herausfordern
Kerstin Lenz
Kerstin Lenz
08. Dezember 2015

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Die Weihnachtszeit ist auch Zeit der Musik: Adventskonzerte, offenes Weihnachtslieder singen oder ein festliches Oratorium für Heiligabend-Gottesdienst stehen bei Pfarreien und Kirchgemeinden auf dem Programm.

Die Kirchenmusik auch über die Weihnachtszeit hinaus ins Blickfeld rücken, möchte der Wettbewerb „Klang&Gloria“ , den die Kirchen gemeinsam mit der Zürcher Hochschule der Künste ausgeschrieben haben. „Gute Kirchenmusik öffnete die Herzen für Gott“, sagt Generalvikar Josef Annen. Doch hat Kirchenmusik ein Nachwuchsproblem, es fehlt an gut ausgebildeten Musikerinnen und Musikern – auch deswegen gibt es den neuen Wettbewerb für innovative Ideen für Gottesdienste und Konzerte.

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Prof. Beat Schäfer ist Jury-Präsident des Wettbewerbs „Klang&Gloria“ und leitet den Bereich Kirchenmusik an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK).

Wenn man die Wettbewerbsausschreibung liest hat man den Eindruck, es gebe zu wenig angehende Musikerinnen, die sich auf Kirchenmusik spezialisieren. Stimmt das?

Im Sinne von Angebot und Nachfrage stimmt das. Eine Erhebung in den über 170 Gemeinden, die 2008 von der reformierten Kirche des Kantons Zürich in Auftrag gegeben worden ist, belegte z.B., dass ein Viertel aller 2008 aktiven Organisten 2014/15 im Pensionierungsalter sein werden. Das ist nun so eingetroffen. Im Schnitt haben jedoch die letzten Jahre nur ca. 3 Orgel-Studierende ihren Master abgeschlossen. Dabei ist zu beachten, dass die ZHdK keineswegs nur für den Kanton Zürich ausbildet! Zurzeit haben wir sogar einen Jahrgang ohne einen einzigen Bachelor-Orgelstudierenden. Dafür wird der DAS-Kurs (Orgel-C-Ausbildung für versierte Laien oder Pianisten (-innen), die im Nebenberuf Orgel spielen ) recht gut besucht. Bei den Chorleitenden sieht es in der Kirchenmusik etwas besser aus. Die Kirchgemeinden haben also freie Stellen für Kirchenmusiker und -musikerinnen.

Ist es nicht so, dass Kirchenmusik boomt? Es gab das Kirchenmusikfestival cantars im Frühjahr, den Berner Kirchenmusikkongress von Ende Oktober oder das Kirchenmusiksymposium im Rahmen der 1. Mendelssohntage in Aarau.

Diese Anlässe strahlen positiv aus. Und es gibt inhaltlich auch viel Positives zu verzeichnen. In diesem Sinne hoffen auch die Verantwortlichen hinter dem Kirchenmusik-Wettbewerb „Klang & Gloria“ auf ebenso positive Impulse. Alle drei  Anlässe waren aber Aktionen, die einmalig und nur alle paar Jahre möglich sind, die aber bei aller Ausstrahlung zwar einen wichtigen Teil des kirchenmusikalischen Schaffens darstellen, allerdings aber auch nur einen Teil.

Braucht die Kirchenmusik ein neues Image?

Das Image, der Ruf einer Sache wie der Kirchenmusik ist stets im Wandel und kann sogar widersprüchlich sein, je nach Person, Zeit und Ort. Das „Image“ hat dabei zu einem Teil wirklich mit dem Gegenstand der Kirchenmusik zu tun, ebenso aber auch mit der beurteilenden Person, ihren Erfahrungen, Wertmassstäben. Die Kirchenmusik wird auch geprägt durch das Image der Kirche als Ganzes.  Ein „falsches“ Image  – oder ein Klischee – lässt sich jedoch oft nur langsam ändern, weil man immer Orte und Menschen findet, die solche festgefahrenen Vorurteile bestätigen. Wie zum Beispiel:

„Im Kirchenchor singen im weniger Leute, vor allem alte Leute“, „die Musik ist zu eindimensional und stilistisch zu eng gehalten“, „Kirchenmusik spricht eine Sprache, die veraltet ist“.

Dabei ist Kirchenmusik grundsätzlich etwas sehr Dynamisches, Kraftvolles und Bewegendes. Vier Aspekte sollen dieses Dynamische verdeutlichen:

  1. Kirchenmusik ist Teil unserer abendländischen Musikkultur , die sich mit Vergangenem auseinandersetzt, da sie in der Tradition der Kirche und der Bibel steht. Sie ist selbst oft Produkt einer früheren, überlieferten Kultur. Mit ihrer Aufführung werden musikalische Werke weitergegeben als Kunstformen und Schätze, die heute genauso begeistern vermögen wie früher, Trost spenden, beglücken oder herausfordern können.
  2. Die Kirchenmusik ist Teil der heutigen Kultur und erfindet sich stets neu , denn sie ereignet sich heute und hat aktuell zu sein: Sie setzt sich gleichzeitig mit heutigen Anliegen, mit heutiger Sprache und heutigen Ausdrucksformen, Lebens- und Glaubensinhalten auseinander. Kirchenmusik, die nicht auch aktuell , neu geschaffen und heute sinnstiftend ist, wäre nur museales Depositum.
  3. Kirchenmusik auch gemeinschaftsbildend, dies nicht nur, indem sie Hörende mit gleichen Interessen versammelt, als auch dadurch, dass sie Teil einer Gemeindeaktion ist, – im Gemeindegesang, im Chor, beim Musizieren, bei Offenen Singen, in einem Gemeindeorchester oder einer Kirchen-Band.
  4. Kirchenmusik ist – losgelöst vom Eigenwert – von ihrem Wesen als Gottesdienstmusik immer auch Partnerin des Wortes gewesen, des gesprochenen Wortes, des biblischen oder göttlichen Wortes, und ist diesem Wechselspiel ausgesetzt. Wo dieses Wechselspiel gelingt, führt es immer zu einem Mehrwert für beide Seiten.

Alle vier Aspekte gehören für mich unabdingbar zum Wesen einer lebendigen Kirchenmusik in der Gemeinde, in der Kirche, oder zur positiven Ausstrahlung der Kirchenmusik auch in die säkulare Gesellschaft hinaus.

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Beat Schäfer dirigiert ein Konzert in der Tonhalle.

In welche Richtung sollte sich Kirchenmusik bewegen?

Für mich hat sich die Richtung in all den Jahren meiner langjährigen Berufserfahrung eigentlich nie wesentlich geändert: zu den Menschen hin, zu Unmittelbarkeit, zu grosser Authentizität, zu überzeugender künstlerischer oder kunsthandwerklicher Arbeit, zu mehr Dringlichkeit und in Gottesdiensten zu liturgischer Stimmigkeit; entsprechend  weniger in Richtung Dekoration, Beliebigkeit, Wellness-Sound, sakrale Geräuschkulisse.

Es geht bei „Klang&Gloria“ auch darum, auf das Berufsfeld Kirchenmusik aufmerksam zu machen. Wie sind denn die Anstellungsbedingungen für ausgebildete Kirchenmusiker und –musikerinnen?

Die Entlohnung für professionelle Kirchenmusiker im Kanton Zürich bewegt sich auf katholischer wie reformierter Seite zwischen Primarlehrer- und Mittelschullehrer-Salär. Die Betriebsmittel sind dabei unterschiedlich – je nach kirchenmusikalischen Formationen oder Musikangeboten ebenso die Teamarbeit. Es wäre ein grosser Verlust, wenn künftig vermehrt Musikerinnen und Musiker eingesetzt werden müssen für gottesdienstliche Aufgaben, denen Inhalt, Form und Bedeutung der verschiedenen Gottesdienste fremd sind, die nicht über eine entsprechende Vielfalt von stilistischen Ausdrucksmöglichkeiten verfügen und sich nicht auch im Dienste des Gemeindeaufbaus verstehen. Deswegen ist es wichtig, immer wieder Menschen an diesen spannenden Beruf und diese vielfältigen Aufgaben heranzuführen. Der Wettbewerb „Klang&Gloria“ soll ein Impuls unter vielen auf dieses Ziel hin sein.

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