Kirche aktuell

Christen in der Türkei unter Recep Erdoğan

Christen in der Türkei unter Recep Erdoğan
Timo Güzelmansur
Timo Güzelmansur
03. Mai 2017

Aus den Medien erfahren wir fast täglich von den politischen Entwicklungen in der Türkei. Die Lage der Christen geht im Nachrichtenfluss meist unter. Timo Güzelmansur, türkischstämmiger Christ und Experte der Deutschen Bischofskonferenz für den türkischen Islam, beschreibt die enormen Probleme, mit denen Christen in der Türkei heute leben müssen.

Die politische Entwicklung in der Türkei und die damit zusammenhängende Polarisierung in der Gesellschaft verheißt nichts Gutes für die nahe Zukunft. Was bedeutet das für die religiösen Minderheiten, besonders für die Christen?

Zunächst ist festzustellen, dass die christlichen Kirchen, unabhängig von Konfession oder Ritus, alle mit den gleichen Problemen und Hürden konfrontiert sind.

Die römisch-katholische Kirche beispielsweise wird eher als eine Kirche von Ausländern betrachtet, da die drei Bischöfe sowie die meisten Priester und Ordensleute aus dem Ausland stammen.

Sie ist zum einen nicht als Körperschaft des öffentlichen Rechtes anerkannt, weshalb sie sich in rechtlichen Streitfragen nicht an Prozessen als Klägerin beteiligen kann. Das war besonders gravierend, als am 5. Februar 2006 der Priester Andrea Santoro in Trabzon am Schwarzen Meer von türkischen Nationalisten hingerichtet und der Apostolische Vikar von Anatolien, Luigi Padovese, am 3. Juni 2010 in Iskenderun von dem eigenen Fahrer ermordet wurde. In beiden Fällen konnte die Kirche sich an den Prozessen nicht als Klägerin beteiligen, nur die italienischen Familien der Ermordeten führten die Prozesse.

Katholische Kirche in Inskenderun. Hier wurde 2010 der Apostolische Vikar von Anatolien, Luigi Padovese, von seinem Fahrer ermordet. Foto: Timo Güzelmansur

Ein weiterer Bereich, der alle christlichen Denominationen betrifft, ist die Ausbildung von Theologen bzw. Priestern. Es gibt in der Türkei keine legale Möglichkeit, eine solche Ausbildung anzubieten. Das Priesterseminar des Ökumenischen Patriarchats auf der Insel Heybeliada wurde 1971 geschlossen. Obwohl türkische Politiker, auch der jetzige Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, zu wiederholten Male die Öffnung versprochen haben, wurde ihr Versprechen nicht eingelöst. Es gibt keine rechtlichen Hürden dafür, warum diese Bildungseinrichtung den Betrieb nicht wieder aufnehmen kann. Aus politischen Motiven taktiert die Regierung mal damit, dass es den Muslimen in Griechenland nicht gut ginge, mal knüpft sie die Wiedereröffnung an den Bau einer Moschee in Athen. Der griechisch-orthodoxe Metropolit von Bursa und Rektor des Priesterseminars von Halki, Elpidophoros Lambriniadis, vergleicht diese Situation mit einer „Geiselhaft“.

Die türkische Regierung schränkt die Rechte ihrer christlichen Bürger ein und knüpft deren Freiheitsrechte an die Behandlung von Muslimen in Griechenland, Bulgarien oder anderswo.

Die Regierung verlangt von den Christen, die türkische Staatsbürger sind, die Erfüllung sämtlicher Pflichten (Steuer, Militärdienst, etc.), ohne ihnen die Rechte zu gewähren, die ihnen zustehen.

Situation nach dem Putschversuch

Der Putsch am 15. Juli 2016, an dem keine Christen beteiligt waren, hat die Situation der Christen noch unsicherer gemacht. Denn die von der türkischen Seite als Hauptdrahtzieher für den Putsch beschuldigte Gülen-Bewegung war im interreligiösen Dialog auch mit Christen sehr engagiert. Da die Regierung jeden, der mit dieser Bewegung in Kontakt stand, entweder aus dem Dienst entlässt, als Terrorist beschuldigt oder ins Gefängnis wirft, richteten sich die Blicke auf die katholische Kirche, aber auch auf das Ökumenische Patriarchat. Denn Gülen pflegte gute Beziehungen zum Patriarchen und besuchte Papst Johannes Paul II. 1986 in Vatikan.

Das ist brisant, weil in der Türkei die folgende Verschwörungstheorie seit Jahren die Runde macht: Fethullah Gülen sei ein römisch-katholischer Kardinal im Dienste der westlichen Mächte, ein trojanisches Pferd, das mittels des interreligiösen Dialogs die muslimische Identität zerstören sollte. Die unglaubliche Behauptung kann man in einem religiösen Gutachten, das von der türkischen Religionsbehörde Diyanet über die Gülen-Bewegung im Oktober 2016 publiziert wurde, nachlesen.

Diese unsichere Atmosphäre im ganzen Land und die anhaltende Polarisierung innerhalb der Gesellschaft geht an den Christen nicht vorbei. Das Ergebnis der Volksabstimmung für die Verfassungsänderung am 16. April, die ersten Wortmeldungen der Staatsführung und die Reaktionen der Opposition darauf deuten nicht auf eine Deeskalation. Denn die unsäglichen Anschuldigungen und Beschimpfungen Erdogans Richtung Europa (Nazi/Kreuzfahrer) haben die Atmosphäre des friedlichen Zusammenlebens im Land vergiftet. Dadurch wurden zahlreiche nationalistische, rassistische sowie juden- und christenfeindliche Aggressionen in Teilen der Bevölkerung freigesetzt. Die Spaltungen in der Gesellschaft sind tief.

Es ist eine Frage der Zeit, bis das Feuer Schaden anrichtet. Das werden die Christen noch mehr spüren.

Timo Aytaç Güzelmansur wurde 1977 in Antiochia am Orontes, dem heutigen Antakya (Türkei), geboren. Er kam 1999 nach Deutschland, um das Land und dessen Sprache kennenzulernen. Ab 2000 studierte er in Augsburg Philosophie und katholische Theologie. Als persönlicher Referent des Bischofs von Anatolien arbeitete er anschließend bis zum Sommer 2006 in der Türkei. Anschliessend promovierte er an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main im Fach Dogmatik. Seit Oktober 2006 arbeitet er bei der Christlich-Islamischen Begegnungs- und Dokumentationsstelle der Deutschen Bischofskonferenz CIBEDO als Geschäftsführer und Experte für den Islam in seiner türkischen Prägung.