Kirche aktuell

Was braucht unsere Kirche? Weite - Nähe - Tiefe!

Was braucht unsere Kirche? Weite - Nähe - Tiefe!
Josef Annen
Josef Annen
13. Februar 2015

Begeistert nicken wir, wenn Papst Franziskus in einer Ansprache oder Predigt den Sachverhalt auf den Punkt bringt. Manchmal regt er damit an – zuweilen auch auf. Wenn wir die Impulse ernst nehmen, dann sind wir herausgefordert. In drei Punkten zu Weite, Nähe und Tiefe habe ich beim Jahrestreffen der Migrantenseelsorger aufgezeigt,  weshalb Offenheit und direkter Kontakt mit den Menschen in der Seelsorge wichtig sind.

Als Einstieg diente mir die Neujahrsansprache von Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga :

„Seit vielen Jahren kaufe ich hier auf dem Markt, auf dem „Märit“ vor dem Bundeshaus ein. Gemüse, Früchte, aber auch Setzlinge für meinen Garten. Und das werde ich auch als Bundespräsidentin weiterhin tun. Warum ist das Einkaufen so etwas Besonderes? Wir könnten ja von zu Hause aus per Internet alles besorgen. Für mich ist die Antwort klar — und so wie mir geht es vielen anderen auch: Ich kenne die Markstände, ich kenne die Leute hinter den Ständen (…) Hier treffe ich Bekannte und Freunde. Und manchmal gibts einen Schwatz. Der Märit bedeutet für mich Vertrautheit und Nähe.“

Bundesrätin Simonetta Sommaruga

„Exotische Früchte und andere Produkte aus der ganzen Welt gehören heute zu unseren Lebensmittelmärkten wie die einheimischen Äpfel und Salat. Trotzdem – oder gerade dadurch – fühlen wir uns hier daheim. Ein Lebensmittelmarkt ist ein Ort, der offen ist für alle. Hier tauschen wir uns aus. Hier ist die Welt zu Hause. Und hier erleben wir gleichzeitig Nähe und Verwurzelung.“

Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga betonte auch, dass zur Schweiz sowohl lokale Verwurzelung als auch Verbundenheit mit der Welt gehören.

Vortrag Generalvikar

Treffen Migrantenseelsorgen_Vortrag Generalvikar_FOTO_Arnold Landtwing

Die Weite und die Nähe, die Offenheit und der direkte Kontakt mit den Menschen sind auch für unsere Seelsorge wichtig.
Darum möchte ich ein paar Gedanken äussern  zur Weite und zur Nähe in der Migrantenpastoral:

1.      Weite

In den verschiedenen Missionen erleben wir Weite. Die Leute kommen aus vielen Ländern, aus der weiten Welt. Sie bringen ihre eigene Kultur zu uns. In der Spaniermission z.B. gibt es nicht nur Leute aus Spanien, sondern spanischsprechende Menschen aus der ganzen Welt.

In der englischsprachigen Mission treffen sich Katholiken/innen aus 70 oder noch mehr Ländern. Es kommt also die weite Welt zusammen. Das ist für uns eine grosse Bereicherung; das ist katholische, weltweite Kirche. Der Missionar braucht ein weites Herz.

Für die Missionen hier in Zürich ist es nun wichtig, dass sie auch den Kontakt mit den Schweizer Pfarreien pflegen. Das gehört auch zur Weite in der Seelsorge.
Die Schweizer Kirche ist anders strukturiert als die Kirchen, aus denen die Migranten kommen.

Hier in der Schweiz gibt es beispielsweise die Mitarbeit der Laien. Es sind getaufte und gefirmte Frauen und Männer, die in den Kirchenpflegen für die Finanzen und die Bauten verantwortlich sind.
Dann haben wir theologisch gut ausgebildete Pastoralassistenten und –assistentinnen. Hier hat die Schweizer Kirche eine gute Tradition. Papst Franziskus hat im Dezember beim ad-limina-Besuch der Schweizer Bischöfe auf diese Mitarbeit der Laien extra hingewiesen und sie bejaht und unterstützt.

Aber diese Zusammenarbeit mit den Laien braucht viel Gespräch und viel Geduld.  Der Priester und Missionar ist verantwortlich für die Verkündigung des Glaubens, die Liturgie und Diakonie. Die Laien sind verantwortlich für die Finanzen. Das ist gut so, braucht aber ein weites Herz, offen für den Dialog. Wer kommt und sagt: ich bin hier der Pfarrer, der Chef, über die Finanzen bestimme ich, der hat schon  verloren.

Es gibt in der Schweiz nur das Miteinander.

Das Gegeneinander führt immer in die Katastrophe.

Darf ich ein Beispiel nennen? In der Italienischen Mission Don Bosco Zürich haben wir zur Zeit intensive Gespräche zwischen den Missionaren und dem Stadtverband, also der Finanzverwaltung. Es geht um die Frage: Was ist die Aufgabe des Missionars? Was ist die Aufgabe der Verwaltungskommission? Das war auf beiden Seiten nicht klar. Hier führen nur der Dialog, das geduldige Gespräch weiter.

Plenum Migrantenseelsorger

Treffen Migrantenseelsorgen_Plenum_FOTO_Arnold Landtwing

Zur Weite der Seelsorge gehören auch die Seelsorgeräume . Es gibt immer mehr Pfarreien, die zusammenarbeiten. Nicht in jeder Pfarrei ist ein Pfarrer zur Verfügung. Es gibt auch Pfarreibeauftragte, die für die Koordination der Seelsorge am Ort verantwortlich sind. Als Missionare begegnen die Migrantenseelsorger darum in den einzelnen Schweizer Pfarreien einmal einem Pfarrer, dann wieder einem Pfarreibeauftragten oder einer Pfarreibeauftragten.

Viele Pfarreien sind dankbar, wenn der Missionar auch einmal eine Messe in deutscher Sprache übernehmen kann. Wir haben dazu gute Beispiele:

  • Arthur Czastkiewicz ist Pfarradministrator in der Schweizer Pfarrei und gleichzeitig Missionar in der Polenmission.
  • Paolo Gallo ist Pfarradministrator in der Schweizer Pfarrei und zugleich Missionar für die Italiener in Affoltern am Albis.

Das sind nur zwei Beispiele. Es gibt noch deren mehr. Ich freue mich, wenn es immer mehr solche Beispiele der Zusammenarbeit zwischen Missionaren und Schweizer Pfarreien gibt. Das gehört zur Weite unserer Seelsorge.
Dazu braucht es aber auch die Bereitschaft, die deutsche Sprache zu lernen.

Zur Weite gehört auch das Mitmachen in den Dekanaten . Es ist wichtig, dass wir als Missionare und als Schweizer Seelsorger/innen auch gemeinsame Tagungen, Erfahrungen machen, auch die Geschwisterlichkeit und Freundschaft miteinander leben.

Die Zusammenarbeit beginnt dort, wo wir einander auch menschlich näher kommen, einander begegnen. Darum sind auch Einladungen zu einem Mittag- oder Abendessen zwischen Schweizer Priestern/ Seelsorgern und Missionaren sehr wertvoll.

2.      Nähe

Bundesrätin Sommaruga hat auch von der Nähe gesprochen. Auf dem Markt kann sie mit der Verkäuferin direkt sprechen. Diese menschliche Nähe ist auch für unsere Pastoral sehr wichtig.

Die Seelsorge der Zukunft braucht viel menschliche Nähe. Als Seelsorger müssen wir bei den Menschen sein. Die Gläubigen wollen einen Seelsorger/eine Seelsorgerin vor Ort.

Das ist inzwischen in Deutschland, wo es sehr grosse Seelsorgeeinheiten gibt, klar erkannt worden. Ohne Nähe vor Ort leidet die Pastoral.

Wir sind im Kanton Zürich in der glücklichen Lage, dass es in jeder Pfarrei Seelsorger/innen vor Ort gibt. Wir haben auch in jeder Pfarrei einen Pfarreibeauftragten, einen Pfarrer oder einen für die Sakramente zuständigen Priester.

Und so ist es unter den jetzigen personellen Gegebenheiten möglich, dass der Sonntag als Tag des Herrenmahles gefeiert werden kann, dass also jede Pfarrei über das Wochenende eine Eucharistie feiern kann. Das gehört zu unserer christlichen Identität, zu der es Sorge zu tragen gibt.

In den Nachbarbistümern wie in  Deutschland ist es nicht mehr möglich, in jeder Pfarrei über das Wochenende eine Eucharistie zu feiern. In Deutschland müssen die Gläubigen lange Wege auf sich nehmen, um irgendwo in der Seelsorgeeinheit am Sonntagsgottesdienst teilnehmen zu können. Die Erfahrung zeigt, dass unter solchen Umständen die Zahl der Gottesdienstbesucher massiv abnimmt und die Leute noch mehr auf Distanz gehen.

Seelsorge braucht Nähe, auch örtliche Nähe. Sonst ziehen sich die Menschen zurück oder gehen zu alternativen Angeboten wie Freikirchen und gar Sekten. Zu dieser Nähe können auch die Missionare viel beitragen.

Zur Nähe gehört auch die Erreichbarkeit der Seelsorger vor Ort. Oft mache ich die Erfahrung, dass ich die Pfarreiseelsorger nicht erreiche. Wenn ich telefoniere, kommt das Band und spricht einen schönen Vers. Wenn es gut geht, wird mir die Notfallnummer bekanntgegeben. Rufe ich diese an, nimmt auf  der anderen Seite niemand ab. Im Notfall ist also niemand erreichbar. Da mangelt es an Nähe zu den Menschen.

3.      Tiefe

Nebst der Weite und Nähe bedarf die Seelsorge der Tiefe. Ich meine damit Tiefgang, Spiritualität. Weniger ist oft mehr, auch im Gottesdienst.

Nach wie vor sind viele unserer Gottesdienste zu wortlastig. Noch wird in unseren Gottesdiensten viel zu viel geredet und zu wenig gebetet. Der Mensch von heute sucht die Feier und auch die Stille. Singen, Stille, Orgelspiel sind zentral, nicht nur das Wort.
Ich will im Gottesdienst auch Raum haben, um etwas privat vor Gott zu sein.

Ich war in den Sommerferien im Trentino.  Nach den Gottesdiensten, an denen ich teilgenommen habe, war ich jedesmal unzufrieden. Ich kam nicht zur Ruhe, musste dauernd Texte hören, singen und beten. Es war einfach nur Betrieb, aber kein Tiefgang.
Es ist besser, eine kurze Predigt zu halten, aber von Herzen, als langes Gerede, das oft noch aus dem Internet stammt und nicht durch mich hindurchgegangen ist.

Kurz und gut: Weite – Nähe – Tiefe. Das ist es, was unsere Kirche braucht.