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Heute im forum: Leben in Dur

Heute im forum: Leben in Dur
Unterwegs mit Benno Schnüriger - Nach elf Jahren tritt Benno Schnüriger als Präsident des Synodalrats ab. Der 67-Jährige war bekannt für seine heitere, humorvolle und kommunikative Art. Zum Abschied zeigte er uns persönliche Oasen in seiner Heimatstadt Zürich.
28. Juni 2018 Katholische Kirche im Kanton Zürich

Weitere Themen im aktuellen forum: Der Papst in Genf, Erster Kirchentag im Oberland, Was ist Normalität in einem Land u.a.

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Ein Haus mit grossem Garten im Westen Frankreichs: Musik, Lesen, am Sonntag «Vaterunser» auf Französisch und Weinlese, wenn es so weit ist. So ungefähr stellt sich Benno Schnüriger seine Zukunft vor. Das Tempo etwas reduzieren, den Geist etwas mehr mit Leben und Kultur füllen statt mit Arbeit. Genaueres wisse er noch nicht, aber eines sei klar: «Ich werde die freie Zeit nicht mit Sitzungen füllen.»

Wir stehen in Schnürigers Büro im Centrum 66 am Hirschengraben in Zürich. Es sind seine letzten Tage als Präsident des Synodalrats der Zürcher Katholiken. Per Ende Juni geht Schnüriger, 67 Jahre alt, in Pension – nach elf Jahren und ein Jahr vor dem Ende seiner dritten Amtszeit. «Aus familiären Gründen», wie er sagt. Die Arbeit als selbstständiger Rechtskonsulent, die er neben dem 55 %-Pensum bei der Kirche ausgeübt hatte, behält er bis auf Weiteres.

Das Haus in Frankreich existiert nicht nur in seinen Träumen. Er hat das ländliche Anwesen im Grossraum Bordeaux vor wenigen Jahren als Ferienhaus gekauft. Nun habe er vor, erzählt Schnüriger, künftig die Hälfte der Zeit dort zu verbringen, die andere Hälfte in Zürich-Enge, wo er seit 25 Jahren lebt und wo er zwei Kinder grossgezogen hat.

Schnüriger wirkt voller Tatendrang. Er ist in Gesprächslaune, es sprudelt nur so aus ihm heraus, sodass man denkt: er freut sich. Aber Schnüriger sagt: «Wissen Sie, ich bin immer so.»
Um sich selber zu charakterisieren, benutzt er Begriffe aus der Musik: «Ich bin ein Dur-Mensch, kein Moll-Mensch.» Also fröhlich und heiter statt traurig. Manchmal sei er durchaus melancholisch, aber: «Ich nehme das Leben nicht schwerer als nötig.»
Was wie frischer, ansteckender Optimismus wirken kann, wird ihm manchmal auch als Sarkasmus ausgelegt. So dankte ihm die Geschäftsprüfungskommission kürzlich für die «langjährige, nicht immer reibungsfreie, aber vertrauensvolle und angenehme Zusammenarbeit» und würdigte Schnürigers Einsatz für die Kirche als «effizienten und eloquent-schlagfertigen, gelegentlich ironisch-sarkastisch-humorvollen Repräsentanten».

Wirkliche Gegner hatte Schnüriger nicht. Das konnte er sich als Präsident des Synodalrats nicht leisten. Zu seinen Aufgaben gehörte es, das Kollektiv beschlussfähig zu halten. Damit die Gruppe funktioniert, brauchte er diplomatisches Geschick. Dafür war Schnüriger der Richtige: «Wenn man kommuniziert, schiesst man nicht», ist eines seiner Arbeitsmottos. Vor wichtigen Abstimmungen besprach sich Schnüriger deshalb nicht selten direkt mit den Synodalräten.

Für dieses Porträt baten wir Schnüriger, drei Orte in Zürich auszuwählen, die ihm viel bedeuten – um sie dann gemeinsam zu besuchen. Das Centrum 66, wo sich nicht nur sein Büro befindet, sondern jeweils auch der Synodalrat tagt, wählte er, weil es «gute Jahre» waren, die er hier verbracht habe. Hier habe er viele inspirierende Gespräche geführt.
Wir gehen nach draussen und wandern ein paar Schritte durch den privaten Garten des Gebäudes. An einem lauschigen Ort unter Bäumen nehmen wir an einem Tisch Platz. Der kleine Park ist mit ein Grund, warum sich Schnüriger hier so wohl fühlt. Hier erlebte er viele gemeinsame, entspannte Momente des Miteinanders, vom Mittagessen bis zum Personalfest. «Ich mag Oasen in der Stadt», sagt er, «und dies ist eine davon.»

Wir machen uns auf den Weg zu Schnürigers zweiten Oase und spazieren der Limmat entlang und über die Münsterbrücke in Richtung Zentralhof. Unterwegs ist wieder Frankreich das Thema. Als wir auf Kulinarisches zu sprechen kommen, sagt Schnüriger, dass er Käse nicht möge. Wir können es kaum glauben – ausgerechnet er, der in einer Molkerei in Schlieren aufgewachsen ist und einen grossen Teil seiner Zukunft in einem Land verbringen wird, wo es Tradition ist, Käseplatten zum Wein oder zur Nachspeise zu reichen. «Ich kann Käse schon essen», sagt Schnüriger gelassen, «aber er schmeckt mir einfach nicht.»

In einem Büro am Zentralhof hat der gelernte Jurist Schnüriger zehn Jahre lang als Zentralsekretär des damaligen CSP-Stadtrats Willy Küng gearbeitet. Wir gehen einmal um den markanten Brunnen im Hof und setzen uns auf eine Bank. Schnüriger trägt eine rote Hose und schwarze Mokassins. Ein Jackett hat er wie bei jeder Gelegenheit – ob privat oder beruflich – dabei. Doch es ist heiss an diesem Tag, er zieht es aus.
Als Mitarbeiter im städtischen Finanzamt habe er gelernt, wie es ist, ein Rad im System eines grossen Verwaltungs-Apparates zu sein. Das sei letztlich später bei der katholischen Kirche nicht anders gewesen. Zwar habe er den Synodalrat präsidiert und damit eine gewisse Autorität gehabt. «Macht hatte ich aber so gut wie keine, es ging immer um das Kollektiv.»
Als Rechtsberater eines Stadtrats erlebte Schnüriger damals auch, wie prägend politische Krisen für die persönliche Arbeit sein konnten. Als die «Züri-Woche» in den 90er-Jahren eine angebliche Affäre zwischen Ursula Koch und Willy Küng öffentlich machte, sei das auch für seine Arbeit sehr belastend gewesen.

Die ersten Feierabend-Gäste haben in einem der vielen Cafés im Hof Platz genommen und stossen unter Sonnenschirmen auf den Abschluss des Tages an. Es ist ein Ort, an dem wir verweilen könnten. Doch wir haben noch eine weitere Oase vor uns und steigen ins Tram. Unterwegs sprechen wir über den ewigen Traum eines eigenen Zürcher Bistums, der vor Kurzem vielleicht endgültig geplatzt ist. «So bleibt der Traum ein Traum», sagt Schnüriger. Und träumen darf man immer. Mit der jetzigen Arbeitsteilung fahre man aber auch gut: «Der Bischof verwaltet den Geist, wir das Geld.»

Im Enge-Quartier steigen wir aus. Wir gehen vorbei an der Kirche Dreikönigen, wo Schnüriger regelmässig die Gottesdienste besucht und wo er mit dem Kontrabass in der Kirchenband «Combo Dreikönigen» musiziert. Dann treten wir durch das Eingangstor des Rieterparks und folgen dem ansteigenden Weg bis zuoberst. Dort angekommen, blickt Schnüriger hinunter auf den Zürichsee und gedanklich zurück auf die letzten Jahre.
Als Höhepunkte seiner Amtszeit sieht Schnüriger unter anderem das neue Kirchengesetz, welches die Stimmbürger 2009 deutlich genehmigten, sowie die Einführung von neuen Rechnungslegungsvorschriften (HRM2-Standard) in der Kirchenverwaltung.
Als Tiefpunkt erwähnt er die bis heute anhaltenden Rechtsstreitigkeiten rund um den Kulturpark an der Pfingstweidstrasse, wo die Kirche neue Räume für die Paulus Akademie baut. «Wohl vor allem deswegen wurde ich 2015 beinahe abgewählt.» Mit nur einer einzigen Stimme erreichte er damals das absolute Mehr.
Nicht das Resultat an sich war es, das Schnüriger enttäuschte, sondern die Art und Weise, wie es zustande gekommen war: Statt mit ihm, dem Kommunikator, über die Probleme zu sprechen, wurde das Misstrauen erst durch die Abstimmung deutlich. «Das traf mich persönlich sehr.»

Wir gehen zurück ins Zentrum des Enge-Quartiers und setzen uns auf die Terrasse eines Cafés in der Nähe des Bahnhofs. Dort führen wir das Gespräch über die Bilanz seiner Jahre im Amt fort. Das konfliktbeladene Verhältnis zum Bischof, wie es in der Öffentlichkeit oft kolportiert wird, werde der Situation nicht ganz gerecht: «Wir ticken hier etwas anders, sind progressiver», sagt Schnüriger und fügt an: «Aber mit den beiden Generalvikaren hatte ich stets ein ausgezeichnetes Einvernehmen.»
Auch punkto Finanzen kann Schnüriger ein positives Fazit ziehen. Im Gegensatz zu den Reformierten profitierten Zürichs Katholiken in den letzten Jahren von steigenden Steuereinnahmen, es geht der Kirche also sehr gut. Schnüriger ist gar der Meinung, dass der jetzige Etat von rund 190 Millionen Franken zu hoch sei. Statt Häuser zu renovieren, sollte das Geld für Menschen in Not und für Projekte für ein gutes Miteinander verwendet werden. Andernfalls sollten die Steuern gesenkt werden, findet er. «Das Geld ist für die Menschen da, nicht für Gebäude.»

Dann ist die Zeit für den Abschied gekommen. Wir stehen auf, geben einander die Hand. Schnüriger wünscht uns kurz und herzlich alles Gute für die Zukunft. Dasselbe wünschen wir ihm. Während wir uns in den Feierabendverkehr der Innenstadt einordnen, macht sich Schnüriger alleine auf zu seiner letzten Oase, die ganz privat bleiben soll: seinem Zuhause, seiner Familie. 

Text: Andres Eberhard