Kirche aktuell

Aktuell im forum: «Zwingli»: Damit der Film eins werde

Aktuell im forum: «Zwingli»: Damit der Film eins werde
Wie «Zwingli» gleich mehrmals entstehen und sich zusammenfügen muss, damit er schliesslich seine Magie entfalten kann.
03. Mai 2018 Katholische Kirche im Kanton Zürich

Weitere Themen im aktuellen forum: Synode wählt und spricht Beiträge, Erwerbslose helfen sich, Vorbild sein u.a.

www.forum-pfarrblatt.ch

 

Im ehemaligen Kloster St. Georgen zu Stein am Rhein braucht es nicht viel Fantasie, um sich ins 16. Jahrhundert versetzt zu fühlen. Wer sich in diesem historischen Gemäuer beeindruckt umschaut, ist allerdings weit davon entfernt, wirklich in Zwinglis Zürich zwischen 1519 und 1531 einzutauchen. Bis das im Januar 2019 möglich sein wird, geht noch viel Wasser die Limmat runter. Oder den Rhein.
Wenn hier und heute Zwingli in den Krieg aufbricht, dann tut er das in mehreren Versuchen. Er wird dabei von einem Regisseur dirigiert. Verewigt mit modernster Aufnahmetechnik. Und umgeben von Heerscharen, die statt Waffen Bauchbeutel tragen. Am 10. März 2018, einem nasskalten Samstagmorgen, ist «Zwingli» erst eine Behauptung.

«Sie haben keine Ahnung, wie teuer Dreck sein kann. Dreck, den wir extra für die Dreharbeiten in Stein am Rhein herstellen liessen.» – Anne Walser, mit ihrer «C-Films» die Produzentin von «Zwingli», ist bereits seit vier Jahren mit diesem Filmprojekt unterwegs, und sie wird es so lange begleiten wie sonst niemand – von der ersten Projektskizze bis zur letzten Kinovorführung.
Sie wacht über all die grossen und kleinen Puzzleteile, die zusammenfinden müssen, damit aus einer beeindruckenden Kulisse tatsächlich ein beeindruckendes Kinoerlebnis wird. Von «Wie bringen wir über 5,5 Millionen zusammen – für einen historischen Dreh eigentlich lächerlich wenig – in der Schweiz aber fast nicht zu stemmen?» bis zu «Welcher Dreck wird nicht vom ersten Regenguss weggeschwemmt?»
Am Vorabend zum Drehstart steht die Finanzierung immer noch auf wackligen Beinen, ist aber dank Eigenleistungen und Rückstellungen gesichert. Anne Walser schläft dennoch schlecht bis gar nicht. Wie sie dann aber auf dem Set im Grossmünster steht und sieht, dass sich die Puzzleteile zusammenfügen, da ist sie felsenfest überzeugt, dass es gut kommen wird. Auch die Zuversicht, die Lücken im Budget doch noch zu schliessen, erhält neuen Schub.

 

Bevor sich das Grossmünster jedoch temporär in eine mittelalterliche, vorreformatorische Kirche verwandeln kann, flackert «Zwingli» lange durch die Köpfe seiner Macher. Die Drehbuchautorin Simone Schmid liest unzählige Bücher über Zwingli und seine Zeit. Entfacht wird das Feuer dennoch erst so richtig, wie sie dessen Schrift «Der Hirt» aufschlägt. Nun staunt sie darüber, wie modern ihr dieser Zwingli in seinem Denken plötzlich erscheint. Und allmählich verflüchtigt sich das Klischeebild des sittenstrengen Puritaners. «Plötzlich habe ich Zwingli als vielschichtigen Menschen entdeckt. Viel widersprüchlicher als ich gedacht hatte, und damit auch viel interessanter. Einer, der das Söldnerwesen verurteilt, weil es die Gemeinschaft verroht und kaputt macht. Der dann aber am Ende selbst in den Krieg zieht. Einer, der sehr musikalisch ist. Zehn Instrumente spielt. Der aber das Orgelspiel in der Kirche verbietet.»

Besonders berührt sie das Schicksal von Anna Reinhart, deren erster Mann im Krieg stirbt und sie mit drei halbwüchsigen Kindern zurücklässt. Die zwei Jahre mit Zwingli in einer heimlichen Ehe lebt, ihn 1524 heiratet, mit ihm nochmals vier Kinder hat, und die 1531 zum zweiten Mal Witwe wird, weil auch Zwingli im Krieg fällt. 
Trotz spärlicher historischer Quellenlage soll gerade aus dieser Anna Reinhart eine greifbare und damit zugängliche Figur werden, eine, die unsere Sicht auf Zwingli mitprägen soll.
«Die Emanzipation von den Fakten gehört zum heikelsten bei einem Stoff, der historisch verankert ist.» Aber Simone Schmid will die Figuren der Geschichte auch psychologisch verstehen, muss in sie eintauchen, damit diese glaubwürdig agieren und sprechen. «Wenn ich heute Huldrych Zwingli und Anna Reinhart begegnen würde, welche Charaktermerkmale würde ich an ihnen entdecken?» Und so sucht sie in den historischen Fakten Sprungbretter, die sie in die Fiktion katapultieren. Und befragt dann die Fiktion immer wieder nach ihrer historischen Plausibilität.
Ein zirkulärer Prozess, in dem neben Anne Walser als Produzentin auch Stefan Haupt als Regisseur und Co-Autor eine wichtige Rolle spielt. Mit ihm diskutiert sie die Figuren monatelang. «Ich habe vor allem die emotionale Stimmigkeit beachtet. Er hat den Finger immer wieder auf die historische Zuverlässigkeit gelegt.»

Während beim Schreiben vor allem die Interpretation der Historie zum Spielraum wird, eröffnet sich nun in der Realisierung des Drehbuchs wieder neuer Spielraum. Irgendwann heisst es für Simone Schmid also loslassen und Geschichte wie Figuren in die Hände anderer Künstler übergeben. Für sie scheint dieses Loslassen weniger mit Schmerzen als vielmehr mit ungeheurer Neugierde verknüpft zu sein. «Am Set in Stein am Rhein war ich überwältigt, was all diese Künstler hier vollbracht haben. Diese vielen Menschen mit ihrer Kreativität bringen einfach noch viel mehr zustande als mein einzelner Kopf.»

Im Klostergeviert zu St. Georgen ist von kreativer Magie gerade wenig zu spüren. Hier herrscht eine zunächst undurchschaubare Mischung aus hektischem Gewusel und konzentrierter Stille. Darin den Regisseur zu entdecken, ist nicht leicht, zumal Stefan Haupt meist sehr ruhig auf seinem Hocker sitzt. «Unsere drei Töchter haben alle als Statisten mitgespielt. An einem Abend hat die neunjährige zu mir gesagt: ‹Papi, bei den Dreharbeiten sind alle am Arbeiten. Nur du sitzt rum.›» Wer genau hinschaut, wird dann aber bemerken, dass Stefan Haupt sehr konzentriert rumsitzt. Dass er möglichst viel wahrzunehmen versucht, was hier geschieht. Dass er je nach Bedarf ruhige wie bewegte Energie freisetzt. Dass er jene Zuversicht ausstrahlt, die auch Anne Walser im Grossmünster spürt: Dieser «Zwingli» wird werden!
Stefan Haupt zehrt beim Dreh davon, dass er mit sämtlichen Schauspielerinnen und Schauspielern die Rolle vorbesprochen hat, von zwei Stunden für kleine Rollen bis zu einer Woche für die Hauptrollen. Zwei Jahre lang hat er diese Tage vorbereitet. Wollte er immer wieder und immer genauer wissen, wie es sich Anfang des 16. Jahrhunderts in Zürich gelebt hat. «Wie viele Leute waren auf der Gasse? – Wie sahen Menschen aus, die oft nur ein einziges Kleidungsstück hatten? – Wie lebt es sich ohne Elektrizität und fliessendes Wasser?»
Monatelang hat er sich mit der gesamten Crew abgestimmt. Und je länger man im Nieselregen steht, desto besser versteht man, was Anne Walser mit dem Puzzle meint, das sich hier zusammenfügt. Begreift man, dass dieses Gewusel eine wohldurchdachte Choreografie ist.

Anne Walser, Simone Schmid und Stefan Haupt verbringen nun schon Jahre mit Zwingli und «Zwingli». Ihre Motivation drücken sie alle mit ähnlichen Worten aus. Sie erzählen begeistert von einer Geschichte für die heutige Zeit. Weil sie uns herausfordert, unser Verständnis von christlichen Werten zu überprüfen. Weil sie eine Geschichte über den Mut zum furchtlosen Denken ist. Und weil diese Geschichte alles bietet, was einen packenden Film ausmacht.

Jetzt heisst es aber nochmals an alle auf dem Set: «Ruhe, wir drehen!»

Dann – in diese Stille hinein – fleht Anna ihren Huldrych inständig an, ihren zwölfjährigen Sohn Gerold nicht mitzunehmen in den Krieg.

Und plötzlich ist es bitterkalt geworden an diesem Oktobertag im Jahre 1531.    

Text: Thomas Binotto