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Aktuell im forum: Die Kunst zu Predigen

Aktuell im forum: Die Kunst zu Predigen
Der reformierte Pfarrer Thomas Muggli-Stokholm ist Träger des ökumenischen Predigtpreises 2017. Was als letztem Schweizer Kurt Marti für sein Lebenswerk gelungen ist, erreichte er mit einer Karfreitagspredigt, einem Brief an Judas.
22. Februar 2018 Katholische Kirche im Kanton Zürich

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Aufgestellt und beschwingt solle der Gottesdienst heute sein, sagt Pfarrer Thomas Muggli-Stokholm und begrüsst die Saxofonistin, den Bassisten und den jungen Mann am Piano. In Bubikon im Zürcher Oberland, wo Muggli seit 1997 als Pfarrer wirkt, ist heute Jazzgottesdienst. 

Dass auch die Texte der Bibel ihre aufrichtende Wirkung haben, ist Aufgabe von Pfarrer Muggli-Stokholm. Heute steht die Erzählung vom Zöllner Levi im Mittelpunkt – und Mugglis Ansage, er werde in der Predigt versuchen zu zeigen, was Levi mit den heute Anwesenden zu tun habe. Die Klarheit in seiner Stimme hat etwas Überzeugendes: Es gibt einen direkten Bezug zwischen den alten Geschichten und den eigenen Baustellen zu Beginn des Jahres 2018.

Was Pfarrer Muggli heute mit Levi versucht, hatte er am letzten Karfreitag mit Judas gemacht, der gemeinhin als Verräter gilt. Für seine Karfreitagspredigt 2017, einen Brief an Judas, hat er den ökumenischen Predigtpreis erhalten. «Es ist für mich fast leichter, in einem anstössigen Text das Überraschende zu finden», sagt der Pfarrer. Danach sei er auf der Suche, wenn er in der Vorbereitung auf eine Predigt den Bibeltext von Hand abschreibe und ihn wieder und wieder lese. Wenn Muggli-Stokholm dann predigt, indem er einen persönlichen Brief an Judas vorträgt, ist schon das überraschend.

«Judas – wie soll ich dich überhaupt anreden in meinem Brief? Du Verräter! Du Feind Gottes! Du Satan in Person!», fragt er Judas und auch die Zuhörenden zu Beginn. Er fragt sie auf Schweizerdeutsch. Muggli-Stokholm predigt im Dialekt, spricht mit den biblischen Personen in seiner Muttersprache, fast als wären sie alte Bekannte. Man kann sich vorstellen, wie die Aufmerksamkeit an jenem Karfreitag greifbar war. Und wohl auch das Interesse, welche Botschaft im Leben des offensichtlich gescheiterten Judas stecken mag, der sich zuletzt auch noch das Leben nahm.

«Die Rückmeldungen der Leute an diesem Tag haben mich ermutigt, diese Predigt einzureichen», erinnert sich Muggli-Stokholm. Dass er schliesslich gewonnen hat, ist für ihn vor allem ein wertvolles Feedback für seine Arbeit, eine neutrale Rückmeldung von Menschen, die sich in der Kunst der freien Rede auskennen.

Vergeben wird der internationale Predigtpreis seit dem Jahr 2000 vom VNR Verlag für die Deutsche Wirtschaft in Bonn. Anliegen sei es, «dem Dialog zwischen Kirche, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft» zu dienen, wie es auf der Website heisst. 

Dort schreibt die Jury auch: «Der reformierte Pfarrer Thomas Muggli-Stokholm schuf mit seiner Karfreitagspredigt eine andere Sicht auf den Jünger Judas. Judas war nicht allein am Tod Jesu schuldig. Sein Verrat gehört zu der Passion Jesu wie das Urteil des Pilatus, die aufgebrachte Menge Jerusalems und die strengen jüdischen Priester seiner Zeit.»

Dem Pfarrer war es also gelungen, etwas Überraschendes zu finden, selbst im anstössigen Text über den Selbstmord des Judas: «Lieber Bruder Judas», so wolle er den Gescheiterten anreden. Bruder, weil ihm in der Geldgier, Enttäuschung, im Übereifer des Jüngers «keine einzigartige, dämonische Bosheit» begegne. 

«Ich erkenne nur menschliche Schwächen, die ich bei mir selbst allzu gut kenne. Und ich bin nicht der Einzige», predigt Muggli-Stokholm weiter. Mitten hinein hat er seine Gemeinde damit geführt, in die Verwandtschaft mit unseren Vorfahren der Bibel.

Er selbst scheut sich nicht, sich selbstkritisch und bescheiden in die Reihe der Menschen zu stellen, die auch heute Sünderinnen und Sünder seien. «Ich verstehe mich als Teil der Gemeinde. Meine Predigten sind ein Resultat der Auseinandersetzung mit den Menschen hier und mit der Bibel. Da vermittle und übersetze ich», sagt Muggli-Stokholm, «ich möchte uns zum Weiterdenken bewegen.» Bewegt und beschwingt ist die Stimmung auch heute, als die letzten Klänge der Jazzmusiker verhallt sind. Es ist nicht nur ihnen zu verdanken.

Text: Veronika Jehle, freie Mitarbeiterin