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Worüber muss die Bischofssynode beraten?

Worüber muss die Bischofssynode beraten?
Redaktionsteam
Katholische Kirche im Kanton Zürich
Die Beiträge im Blog geben die Haltung der Autoren wider und müssen nicht in jedem Fall mit der offiziellen Haltung der kirchlichen Körperschaft übereinstimmen.
Katholische Kirche im Kanton Zürich
15. Oktober 2015

Theologieprofessorin Eva-Maria Faber lehrt an der Theologischen Hochschule Chur und beantwortet die Frage, worüber die Bischofssynode in Rom beraten muss mit einem einzigen Satz:  Fragen, die das Leben stellt

Fragen die das Leben stellt

  • Wie hast du in deiner Kindheit und Jugendzeit Familie erlebt, wie habe ich sie erlebt?

  • Welche Vorstellungen von Leben, Verantwortung, Beruf, Freizeit habe ich, hast du?

  • Welche Freuden und Hoffnungen, traurige Erinnerungen und Ängste, welche Begabungen und welche Belastungen bringst du, welche bringe ich mit – nämlich in die Beziehung, in die wachsende Partnerschaft, auf den Weg zur Ehe?

  • In welchem Sinne sind ich und du dann ein „Wir“, und in welchem Sinne gibt es bleibend ein „Ich“ und ein „Du“?

  • Wie lernen wir, den Einsatz für die Beziehung und Gemeinschaft auszubalancieren mit der berechtigten Pflege der eigenen Interessen, Freiräume, Freundschaften?

  • Wie gehen wir damit um, dass sich nach dem ersten Glück über die Verbundenheit miteinander auch Erfahrungen des Fremdseins, der Einsamkeit einstellen?

  • Wie vereinbaren wir Treue zueinander mit der Treue zum eigenen Weg?

  • Wie können wir unsere ungleichzeitigen Wachstums- und Berufungsgeschichten respektieren und doch zusammenhalten?

  • Woher nehmen wir die Kraft, die Inspirationen, die Gelassenheit und den Mut, unser Leben in Ehe und Familie verantwortlich zu gestalten und unterschiedliche Gesichtspunkte und Auffassungen zu versöhnen?

Dies sind nur einige der Fragen, mit denen Menschen, die sich heute auf Partnerschaft, Ehe und Familie einlassen, konfrontiert sind. Einige dieser Fragen werden sich immer schon gestellt haben; andere stellen sich bedrängender oder neu, weil Rollenvorgaben weggefallen sind und Lebenswege individualisiert verlaufen.

Kirche ist oft weit entfernt vom konkretem Leben

Für die Kirche sind diese Fragen umso wichtiger, als sie im II. Vatikanischen Konzil die Ehe als „innige Gemeinschaft des Lebens und der Liebe“ ( Gaudium et spes 48 ) beschrieben hat. Eine personale Lebensgemeinschaft aber muss in ihren konkreten und alltäglichen Bedingungen betrachtet werden. Davon sind die Normen und Ideale der kirchlichen Lehre und Verkündigung jedoch oft zu weit entfernt. Nach Papst Franziskus sollte aber gelten: „Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee“ ( Evangelii Gaudium Nr. 231 ). An dieser Erwartung wird deutlich, warum sich 2014/2015 zwei Bischofssynoden hintereinander demselben Thema der „Berufung und Sendung der Familie in Kirche und Welt von heute“ widmen.

„Jener, der den Nächsten verurteilt, kann sich irren, aber nie jener, der fähig ist zu vergeben.“ Sgrafitto in Scuol/GR

Perspektivenwechsel

Es geht darum, den unterschiedlichen Lebenswegen von Menschen heute, ihrer Eigenverantwortung sowie den veränderten Rahmenbedingungen ehelichen und familiären Lebens gerecht zu werden. Dazu bedarf es einer veränderten Perspektive.

Die katholische Kirche setzt sich mit Recht dafür ein, Ideale und Orientierungspunkte für das menschliche Leben hochzuhalten, um Wachstumsmöglichkeiten anzuzeigen. Jeder Mensch ist dazu berufen, etwas Großes zu verwirklichen – zum Beispiel in Ehe und Familie. Solche Zielvorstellungen aber müssen von den lebensweltlichen Situationen aus erkennbar und erreichbar sein: Menschen muss aufgehen können, wie sich das Streben nach diesen Idealen zugunsten einer größeren Stimmigkeit ihres Lebens auswirkt. An einigen Aspekten sei dies näher ausgeführt.

Kirche: Alles oder nichts

Die oben formulierten Fragen lassen ahnen, wie komplex der Weg ist, auf dem zwei Personen aus unterschiedlichen Herkunftsfamilien, mit unterschiedlich verlaufenen Biographien, mit unterschiedlichen Einstellungen zum Leben, zu Weltanschauungen und zu religiösen Fragen in eine verbindliche Partnerschaft hineinwachsen. Dies macht erklärlich, warum Paare die Eheschliessung heute oftmals lange aufschieben. Kann es sein, dass es für die Kirche im Blick auf die Getauften nur „alles“ (= die sakramentale Ehe) oder nichts (= eine illegitime und als sündhaft bewertete Situation) gibt? Oder könnte man die Werte, die in nur zivilen oder informellen Partnerschaften gelebt werden, als (evtl. graduelle) Verwirklichungen des mit der Ehe Gemeinten anerkennen?

Kirchliche Dokumente laden die Ehepartner häufig zu „Hingabe“ ein und sehen die Bereitschaft dazu durch den scharf kritisierten „Individualismus“ verbunden. Demgegenüber könnte zu Unrecht vergessen werden, dass Menschen auch in der Ehe zur Selbstliebe verpflichtet sind und eigene Interessen und Bedürfnisse nicht in jeder Hinsicht und um jeden Preis zurückstellen müssen oder dürfen.

Manche müssen vielleicht gerade lernen, auch in Ehe und Familie sie selbst zu sein.

So kann die Rede von Hingabe ungesunde Vorstellungen von einer symbiotischen Partnerschaft verstärken, an denen manch eine Ehe zu Bruch geht. Wie kann die Kirche eine stärker personen- und lebensgerechte Sprache über eheliches Leben lernen?

Orientierungspunkt: Die Liebe Gottes

Genau hinzuschauen ist, in welchem Sinn die christliche Auffassung von Ehe die menschliche Liebe an der göttlichen Liebe orientiert.

Sich von der treuen Liebe Gottes geliebt zu wissen und seine Vergebung zu erfahren, ist für einen gläubigen Menschen Quelle eigener Liebes- und Vergebungsfähigkeit.

Daraus können christliche Ehepartner und christliche Ehen Kraft schöpfen. So gesehen ist die Liebe Gottes für die Ehe Orientierungspunkt und Ansporn. Gleichwohl bleibt die menschliche Liebe hinter der Liebe Gottes unausweichlich zurück. Die Ehepartner dürfen einander die Zuwendung Gottes bezeugen und werden dies doch immer wieder nur gebrochen verwirklichen können. Auch sie bedürfen der nie versagenden Treue Gottes mehr, als dass sie sie „darstellen“ könnten. Menschliche Treue kann an Grenzen (auch geistlicher, psychischer und physischer Art) kommen, die Treue zum Partner kann sogar in Konflikt mit der Treue zu sich selbst geraten.

Geschieht Menschen, die in ihrem Lebensprojekt Ehe notwendig hinter dem göttlichen Vorbild zurückbleiben, nicht Unrecht, wenn sie, zumal im Scheitern, an einem göttlichen Mass gemessen – und verurteilt – werden?

Im Scheitern neue Perspektiven entwickeln

Gerade im Blick auf das Scheitern wird es wiederum wichtig, auf die konkreten Menschen zu schauen: Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee.

In vielen Fällen wird Ehe nicht gebrochen, sondern das Zerbrechen einer Ehe erlitten. Für die Betroffenen ist es eine Tragik.

Sie konnten nicht verhindern, dass die biographischen Entwicklungen und die Wechselfälle des Lebens die Partnerschaft ausgehöhlt und aufgelöst haben. Selbst wer sich selbst im Scheitern der Ehe als schuldig erkennt, muss zusammen mit der Vergebung auch eine neue Perspektive entwickeln dürfen. Für viele der Betroffenen wird sich irgendwann die Frage stellen, auf welchem Weg die Wunden Heilung finden und neuer Mut zum Leben wachsen kann. Dies gilt insbesondere, wenn sie sich zutiefst zu einem Leben in Partnerschaft und Familie berufen fühlen und eventuell auch noch die Verantwortung haben, für heranwachsende Kinder eine Heimstatt gestalten zu müssen.

Lassen sich Schritte in Richtung einer neuen Partnerschaft schlechthin als „objektiv schwer sündhaft“ deklarieren, wenn sie für die Betroffenen selbst die Früchte des Vertrauens, der Liebe, neuen Lebensmutes haben? Bleibt die Kirche nicht zurück hinter ihrer zweifachen Sendung, Ideale hochzuhalten und Menschen gerecht zu werden und ihnen in jeder Situation Zeugin der Barmherzigkeit Gottes zu sein?

Die Synode steht vor einigem Klärungs- und Reformbedarf. Zu hoffen ist, dass die Bischöfe nicht nur Positionen verteidigen, sondern ernsthaft beraten.

Dr. Eva-Maria Faber

Dieser Beitrag ist erstmals Konradsblatt Freiburg i.Br erschienen.