Kirche aktuell

Wie Stadtpastoral die Perspektive verändert

Wie Stadtpastoral die Perspektive verändert
Seelsorger Predigerkirche
Thomas Münch
Thomas Münch
09. Februar 2016

Das Bewusstsein für eine zukunftsorientierte Pastoral ist wach. Was herausfordert, ist der Perspektivenwechsel und das Verlassen vertrauter Wege. Seit über einem Jahr  kümmere ich mich um die Entwicklung einer Pastoral im urbanen Raum.

Der Start

Begonnen habe ich mit meiner Arbeit zur Pastoral im urbanen Raum im September 2014. Zuvor hatte ich mich in meinem Sabbatical mit dem Thema auseinandergesetzt und eine Arbeit mit dem Titel „Vorüberlegungen zu pastoralen Angeboten im urbanen Raum für das Dekanat Zürich-Stadt“ geschrieben.

Diese Arbeit wurde zusammen mit einer Umfrage an alle katholischen Pfarreien der Stadt Zürich, den fremdsprachigen Missionen und Dienststellen der katholischen Kirche im Kanton Zürich geschickt.

Die Umfrage

22 Pfarreien und 10 Dienststellen, das sind 89% der angeschriebenen, haben geantwortet. Das hat mich überrascht und natürlich auch gefreut hat. Das zeigt mir, dass das Bewusstsein für eine zukunftsorientierte Pastoral, die die bekannten Wege ergänzen soll, bei den Mitarbeitenden der Pfarreien – auch durch die Fortbildungsreise im Sommer 2014  in grossem Masse vorhanden ist. Es ging dabei um die Frage, welche Angebote auch für Menschen ausserhalb der Pfarrei oder des Quartiers von Interesse sein könnten. Die beschriebenen Angebote kamen aus den Bereichen Bildung, Diakonie, Gemeinwesen, Jugend, Kunst und Kultur, Liturgie, Musik, Seelsorge, Senior/innen, Soziales und Spiritualität. Vor allem bei den Bereichen Bildung, Musik und Spiritualität sind die Pfarreiverantwortlichen der Meinung, interessante Angebote für die städtische Bevölkerung zu haben. Die Angebote in den Bereichen Seelsorge und Soziales werden bereits häufig durch überpfarreiliche Institutionen angeboten ( beispielsweise Bahnhofkirche, Sihlcity-Kirche, Caritas, etc ).

Die Pfarreibesuche

Darauf aufbauend bin ich auf die 23 Pfarreien der Stadt Zürich zugegangen um einen Pfarreibesuch zu machen. Zwischen Februar und Juni 2015 konnte ich 21 Pfarreien besuchen und mit den Pfarreiteams oder den Leitenden ins Gespräch kommen. Dabei lag der Fokus mehr auf dem sozialen Nahraum (Quartier), in dem die Pfarreien tätig sind.

Dabei stellte sich heraus, dass die Quartiere in erster Linie durch die Wohnsituation, die Multikulturalität, das Arbeitsplatzangebot und die Altersdurchmischung geprägt wird. Spannend fand ich, dass 10 der Pfarreien angaben, ihr Quartier habe trotz allen noch Dorfcharakter.

Hier zeigt sich, dass unsere Pfarreien sich in weitem Masse in den traditionellen Milieus und der bürgerlichen Mitte bewegen. Nach den soziologischen Erhebungen machen diese Milieus etwas 11% der städtischen Bevölkerung aus. Bemerkenswert war für mich, dass ein Viertel der Bevölkerung (Experimentalisten) in der Hälfte der Pfarreien nicht als Quartierbewohner/innen wahrgenommen wird. Zusammen mit den Postmateriellen macht dieses Milieu in der Stadt Zürich über 50% der Bevölkerung aus. Hier zeigt sich am deutlichsten, warum die Verantwortlichen im Dekanat Zürich-Stadt eine Pastoral für den urbanen Raum angehen möchten.

Die Frage: Wohin müsste der Weg denn gehen?

Meiner Meinung sollten die Menschen mit ihren Sorgen und Ängsten, ihren Hoffnungen und Freuden Ausgangspunkt aller Überlegungen sein. Ihnen gilt die Aufmerksamkeit. Stadtpastoral orientiert sich an den Adressaten und ihrer Vielfalt. Es geht um eine Form der pastoralen Arbeit, die nicht für bestimmte Menschen Angebote konzipiert, sondern mit ihnen auf dem Weg ist. Erst so kann gewährleistet werden, dass die Botschaft des Evangeliums auch in die heutige Zeit hinein geoffenbart werden kann. Es geht darum zusammen mit den Menschen zu lernen, was Glaube, Religion, Kirche und Evangelium heute sind. Das fordert von uns eine Bereitschaft zur Flexibilität, den Wunsch, wirklich zuhören zu wollen und zu erfahren, was wir als Kirche von der Welt lernen können, wie es schon vor 50 Jahren in der Pastoralkonstitution »gaudium et spes« 44 heisst. Unsere Seelsorge muss angelegt sein als Da-Sein für die Menschen. Unsere Pfarreien sind Orte der Nähe zu den Menschen in ihren Lebenssituationen.

Der Perspektivenwechsel

Wir müssen uns fragen, wie wir unsere Pastoral verstehen wollen.

Oft betrachten wir die Kirche und unsere Gemeinde wie ein Kursschiff, das es gilt auf Kurs zu halten. Aber reisen die Menschen mit unserem Kursschiff? – Wollen sie nicht viel lieber mit ihrem eigenen Boot fahren? Und was tun wir dann? Verstehen wir uns als Leuchtturm, der hilft auf Kurs zu bleiben? – oder als Lotsenboot, das die Richtung vorgibt? – Wie wäre es, wenn wir uns als Begleitboot verstehen würden?

Was ist für uns Kirche? Ein Gebäude, zu dem die Menschen strömen, ihre Träume erfüllen und wieder gehen? Oder haben wir ein Zelt, damit wir mit den Menschen an den Ort gehen können, wo sie sind, mit ihnen unsere Zelte aufbauen und wieder abbauen, wenn sie und wir weiterziehen?

Wie geht es jetzt weiter?

Am Ende der Dekanatsfortbildung 2015 haben die Seelsorgenden der Stadt Zürich formuliert, was für sie wichtig wäre. Dabei hat mich besonders gefreut, dass die Anwesenden die Notwendigkeit einer Pastoral im urbanen Raum als Ergänzung zur Pfarreipastoral betont haben.

Stadtpastorale Angebote und Projekte und die Angebote der Pfarreien verstehen sich nicht als Konkurrenz, sondern als Miteinander.

Aus den verschiedenen Vorschlägen hat die Arbeitsgruppe Stadtpastoral zwei Themenbereiche ausgewählt (Musik und Spiritualität) die in Pilotprojekte angegangen werden sollen. Dies geschieht in Zusammenarbeit mit den Pfarreien. Es wird darum gehen, herauszufinden, welche Art von Musik Sängerinnen und Sänger in der Stadt Zürich für Liturgien und Kirchenkonzerte begeistern würde und wie wir als Pfarreien davon profitieren können.

Dazu ist auch der Kontakt und der Austausch mit den anderen Landeskirchen, besonders der reformierten Schwesterkirche wichtig. Bei Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern des reformierten Stadtverbands und der reformierten Landeskirche durfte ich feststellen, dass es dort ähnliche Überlegungen gibt. Die Frage, wie Pastoral im urbanen Raum gestaltet werden kann, ist eben nicht konfessionsabhängig.