Kirche aktuell

Warum Sterbehilfeorganisationen draussen bleiben sollen

Warum Sterbehilfeorganisationen draussen bleiben sollen
Leiter sozialethisches Institut «ethik22» in Zürich
Thomas Wallimann-Sasaki
Dr. theol. Thomas Wallimann-Sasaki ist Leiter des sozialethischen Instituts «ethik22» in Zürich, Präsident a.i. der sozialethischen Kommission Justitia et Pax der Schweizer Bischofskonferenz und Dozent für angewandte Ethik an verschiedenen Fachhochschulen.
Thomas Wallimann-Sasaki
24. April 2015

„Jede Person darf leben, wie sie will – so soll sie auch sterben können, wie sie will!“ Was einfach tönt, ist in Theorie wie Praxis etwas schwieriger. Anfang und Ende des Lebens sind wichtig für die Fragen nach dem Sinn des Lebens.

Das Leben ist ein Geschenk Gottes

Im christlichen Verständnis ist das Leben ein Geschenk Gottes. Dazu soll der Mensch Sorge tragen. Er darf es nicht einfach zurückgeben, wenn es ihm gerade passt. Darum wurden Menschen, die sich das Leben nahmen, noch bis vor 50 Jahren nicht auf dem Friedhof beerdigt. Inzwischen hat die Kirche ihre Praxis verändert, denn die meisten Suizide haben weniger mit freiem Willen, sondern mehr mit Depression und Ausweglosigkeit zu tun. Hinzu kommt der Umgang mit Leiden, Schmerz und Schwächen? Je weniger diese zu einem „vollwertigen“ Leben gehören, desto schneller ist das Weiterleben ein Problem.

Wenn gleichzeitig Abhängigkeit als Freiheitseinschränkung gesehen wird und dies für einen selbständigen Lebenswandel ein Problem ist, dann ist es einfacher, Sterbehilfe zu befürworten.

Was ist selbständiges Leben?

Hinter der Sterbehilfe-Debatte steckt also immer die Frage, wie ich „selbständiges“ Leben anschaue und wie ich die Menschen um mich herum betrachte. Wer Autonomie als totale Selbständigkeit und Selbstverfügung sieht, hat Schwierigkeiten mit Abhängigkeiten gerade im Alter. Wer medizinisches Personal, Pflegefrauen- und Männer in Heimen als Dienstleister und sich selber als Kunde sieht, wird mit Selbstverständlichkeit jene Dienstleistungen fordern (und bezahlen), die er oder sie sich als Kunde oder Kundin wünscht – eben auch die Hilfe zum Sterben.

Screenshot Treffpunkt

Screenshot Treffpunkt

„Kundenorientierung“ bis zuletzt?

Diese Haltung des „Kunden und der Kundin“ und der „Dienstleistungen“ haben in unserem Leben fast alle Lebensbereiche erfasst. Schauen wir, wie Menschen in Heimen oder auch sonst genannt werden. Wer in einem Heim „Klienten“ oder „Kundinnen“ beherbergt, wird deren Wünsche als Dienstleisterin eben erfüllen müssen! Wer Mitbewohnerinnen, Frau Meier und Herr Müller, pflegt, wird (hoffentlich) auch Abhängigkeiten, Sinnfragen und Pflege anders zum Thema machen.

Die Gretchenfrage: Sollen Sterbehilfeorganisationen in Heimen Zutritt erhalten: Ja oder nein?

Je mehr Heime sich als Dienstleisterinnen an Kundinnen sehen, desto eher. Dabei geht gerade aus christlicher Sicht Entscheidendes vergessen.

Christliche Solidarität sorgt sich um die Schwachen und Schwächsten!

Denn in Heimen arbeiten Menschen die Leben pflegen wollen. In Heimen wohnen auch Menschen, die sich nicht wehren können, und die vielleicht auch nie gelernt haben, ihre eigenen Wünsche zu artikulieren – und die so aus falschem Mitgefühl Sterbehilfe-Angebote so auffassen, als ob diese zum „guten“ Leben gehören.

Orientiert am christlichen Verständnis, dass jedes Leben, ob alt, gebrechlich, abhängig oder selbständig, lebenswert ist, und wir besonders Rücksicht auf die Schwachen nehmen müssen, sollen darum Sterbehilfeorganisationen keinen Zutritt zu Alters- und Pflegeheimen haben.

Erstmals erschienen: Treffpunkt Nr. 4/2015 S. 6. (Der Treffpunkt ist das christlich-sozialethische Magazin der KAB (Kath. ArbeitnehmerInnen-Bewegung) Schweiz

Das Schweizer Fernsehen SRF hat in mehreren Beiträgen im Club und in Sternstunden Philosophie aufgenommen und mit Fachleuten von verschiedenen Seiten beleuchtet.