Kirche aktuell

Über die Burka und Grenzen der Toleranz

Über die Burka und Grenzen der Toleranz
Seelsorger Predigerkirche
Thomas Münch
Thomas Münch
11. Oktober 2016

Die Burka-Debatte stellt uns einmal mehr vor die Frage: Was müssen wir uns zumuten lassen in einer offenen, liberalen Gesellschaft, und wo müssen wir einschreiten? Was ist gerade in einer offenen Gesellschaft wie der unseren nicht mehr tolerierbar?

Die Grenzen der Toleranz – wofür es sich zu streiten lohnt

Der Philosoph Michael Schmidt-Salomon veröffentlichte im Tagesanzeiger einen Essay, der mich sehr beschäftigt hat. Er hiess: «Die Grenzen der Toleranz – wofür es sich zu streiten lohnt». Ein lesenswerter Artikel.

Vor allem ein Gedanke will mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf. Schmidt-Salomon schreibt:

«Es ist kein Zufall, dass die diversen Feinde der offenen Gesellschaft exakt den umgekehrten Weg gehen, also das Kollektiv an die erste Stelle setzten und von ihm aus das« Individuum definieren. So sehr sich christliche Abendlandretter, Nationalisten und Salafisten auch unterscheiden, in diesem Punkt zeigt sich eine grosse Gemeinsamkeit: Sie alle reduzieren die Individuen auf vermeintlich stabile ethnische oder religiöse Gruppenidentitäten und halten zwanghaft an der ‹Scholle› ihrer jeweiligen Tradition fest, weshalb sie ihr angestammtes kulturelles Ghetto reflexartig gegen das vermeintlich Feindliche des ‹Fremden› verteidigen. … Die gemeinsame Wurzel von ‹gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit› ist ein hartnäckiger Kollektivismuswahn, der Gruppenidentitäten unterstellt, die es in der Realität gar nicht gibt.» (Tagesanzeiger vom 29. September S 32f)

Im Anschluss an diesen Gedanken frage ich mich nun selbst: Wo unterliege ich diesem Denken? Dies speziell im Hinblick auf den Galaterbrief:

«Ihr seid alle durch den Glauben Söhne Gottes in Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus (als Gewand) angelegt. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid ‹einer› in Christus Jesus.» (Galater, 3,26-28).

Hier ist nach allgemeinem Verständnis etwas Positives beschrieben: Ich beurteile Menschen nicht nach ihrer nationalen oder ethischen Herkunft, sondern ich begegne ihnen mit Respekt, weil alle Menschen Gottes Söhne bzw. Töchter sind.

Wir aber reden oft von «den Muslimen» und nicht mehr wie früher von Menschen aus Bosnien, der Türkei oder Tunesien. Und sofort fragen wir, ob sie nicht vielleicht als Muslime auch Islamisten sind, denn der Islam ist ja …

Beide Redeweisen drücken unterschiedliche Haltungen aus mit einen wesentlichen Unterschied. Im Galaterbrief geht es um die Gleichheit der Menschen. Bei der Haltung des Kollektivismus geht es um die Frage: Hat ein Mensch Würde, weil er ein Individuum ist, oder erhält er seine Würde erst als Mitglied einer bestimmten (ethnischen oder religiösen) Gruppe?

Die Gretchenfrage

Eine entscheidende Frage, die ich mir auch als gläubiger Christ stellen muss: Haben alle Menschen die gleiche Würde?

Oder haben nur die Menschen die gleiche Würde, die gleich denken, glauben, fühlen und leben wie ich? – Hoffentlich nicht!