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Über Armut schreiben statt schweigen

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Redaktionsteam
Katholische Kirche im Kanton Zürich
Die Beiträge im Blog geben die Haltung der Autoren wider und müssen nicht in jedem Fall mit der offiziellen Haltung der kirchlichen Körperschaft übereinstimmen.
Katholische Kirche im Kanton Zürich
14. Juli 2015

Caritas Zürich lud Menschen mit kleinem Budget zu der Schreibwerkstatt «Leben am Existenzminimum» ein. Unter Anleitung einer Schriftstellerin und einer Journalistin gelang es den Frauen und Männer, ihre Situation in Worte zu fassen und ins Gespräch mit Mitbetroffenen zu kommen.

Tamara, Klaus und Alexandra (Namen der Redaktion bekannt) müssen den Franken nicht einmal, sondern vielleicht zehnmal umdrehen, bevor sie ihn ausgeben. Sie sind wegen deswegen nicht nur unglücklich, das wäre zuviel der Schwarzweissmalerei. Doch die Armut schränkt ein. Sie macht manchmal traurig und sie isoliert die Personen, die sich selber als armutsbetroffen einstufen.

Leben am Existenzminum

Caritas-Mitarbeiterin Cordula Bieri

Caritas-Mitarbeiterin Cordula Bieri

Im Moment besuchen Tamara, Klaus und Alexandra zusammen mit neun andern den Kurs «Leben am Existenzminimum», zu dem die Caritas Zürich unter Leitung der Mitarbeiterin Cordula Bieri an die Beckenhofstrasse 16 eingeladen hat. An fünf Abenden zeigen die Schriftstellerin Tanja Kummer und die Journalistin Andrea Keller den Menschen, wie sie das Wort ergreifen und über Armut reden können. Die Fachfrauen unterstützen die Schreibenden dabei mit Tipps und Tricks. Trotz schwierigem Thema hat die Gruppe, die sich aus sehr verschiedenen Frauen und Männern zusammensetzt, Spass am kreativen Prozess. Geschätzt wird auch der Austausch mit anderen Personen, die ebenfalls mit Armut klarkommen müssen.

Caritas Zürich lud erstmals im Jahr 2010, im Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung, armutsbetroffene Personen zu einer Schreibwerkstatt ein. Der Kurs fand Anklang und hatte auch Erfolg. Darum folgte im Jahr 2014 ein weiterer Kurs zum Thema «Prekäre Wohnverhältnisse». Im Moment läuft der dritte Veranstaltungsreihe zum Thema «Leben am Existenzminimum». Die Schreibwerkstatt wird von der Gemeinnützigen Gesellschaft des Kantons Zürich finanziell unterstützt.

Schrifstellerin Tanja Kummer

Schrifstellerin Tanja Kummer

Doch wie leben und denken Tamara, Klaus und Alexandra denn ganz konkret im Alltag? Drei Portraits

Vom Gefühl, überflüssig zu sein

«Haare, Schuhe, Geschenke», das sind die drei Budgetposten, mit denen sich Tamara*, 61-jährig, am schwersten tut. Bei Einladungen kommt die Architektin, die alleine und am Existenzminimum lebt, demnach am ehesten in Clinch mit ihrer Situation. Sie möchte ja nicht aus dem Rahmen fallen, sondern dazugehören, Bekannten auch etwas Schönes zum Event mitbringen können. Dass Besuche im Restaurant nicht drinliegen, ist für Tamara weniger einschneidend. Sie erzählt zwar nicht beglückt, aber ohne Bitternis von dieser Einschränkung.

Mit positivem Denken versucht sie, einen Schritt weiterzukommen.

«Ich habe zwar kein Geld, aber dafür Zeit», konstatiert sie.

Es gefällt ihr, dass sie an einem x-beliebigen Wochentag einen Spaziergang unternehmen oder Kochvarianten ausprobieren kann. Sie erzählt: «Ich bereite gerne spezielle Suppen zu, die ich dann portionenweise einfriere».

Was sie quält, ist der Gedanke überflüssig zu sein. Lange war die Akademikerin freiberuflich tätig, dann wurde die Auftragslage schlechter, sie bekam zwar noch Aushilfestellen, aber nur temporäre Angebote, später war sie ganz ohne Erwerb. Sie stellte fest: «Als Architektin war ich als ältere Arbeitnehmerin zu teuer, für einfachere Jobs galt ich als überqualifiziert und erhielt deshalb keine Anstellung mehr». Sie sei darum durch alle Netze gefallen. Sie gibt zu:

«Es tut weh und macht mich traurig, dass meine beruflichen Qualifikationen scheinbar nicht zählen und mich offenbar niemand mehr brauchen kann».

Tamara beschuldigt niemanden für diese Situation, meint, sie hätte sich selber in diese Ecke manövriert, da sie ihren Traumberuf und nicht ‚etwas Vernünftiges‘ verwirklicht hätte.

Die angebotene Schreibwerkstatt zum Thema «Leben am Existenzminimum» bereitet ihr Freude, ist eine Bereicherung.

«Hier kann ich etwas Neues lernen, der Kurs ist gratis und ich kann mich mit anderen armutsbetroffenen Menschen austauschen».

Mit Geld mehr Wohlbehagen kaufen

Klaus, 50-jährig, deckt keine Details zu seiner beruflichen Situation auf, um nicht erkannt zu werden. Er sei in einer Umschulung und wisse, dass es ihm in zirka drei Jahren besser gehe. Bis dahin müsse er einfach durchhalten, dürfe vor allem nicht krank werden. Klaus lebt unter der Armutsgrenze und ist single. Er sagt: «Wenn man so arm ist, findet man keine Partnerin». Er könne einer Frau ja nichts bieten. Er lebt in einem WG-Zimmer von 11 Quadratmetern, in einer Wohnung zusammen mit vier Studenten, «die eigentlich nicht mit mir wohnen, sondern nur billig wohnen wollen». Das macht ihm zu schaffen.

«Wenn ich Geld hätte, würde ich woanders leben, würde mich von diesem asozialen Verhalten wegkaufen wollen», erzählt er scheinbar emotionslos.

Das Mobiliar seines Zimmers stammt von dem, was andere Leute entsorgen. «Es ist verrückt, was in der reichen Schweiz alles weggeworfen wird: Mein Bett, meine Kommode, die Regale, sogar mein Velo und die HiFi-Anlage stammen von der Strasse». Klaus erklärt weiter: «Was mich ärgert, ist das Machtgefälle von Reich zu Arm: Ich kann mich beispielsweise nicht gegen den Vermieter wehren. Weil ich arm bin, hätte ich Konfliktfall ja keine finanziellen Alternativen». Trotz Armut lobt Klaus die Schweiz in den Worten:

«Wir leben hier auf allerhöchstem Niveau, die Schweiz ist eine schöne Wohlstandsinsel in der Welt».

Die Kinder sollen es trotzdem gut haben

Alexandra, 29-jährig, hat zwei kleine Kinder, die sie «mega-glücklich» machen und die sie möglichst selber versorgen will. Ihr Mann, der aus dem Ausland stammt, hat eine Teilzeitanstellung in einem praktischen Beruf und wird nur sehr bescheiden entlöhnt. Er versteht zwar deutsch, aber die Sprachkenntnisse sind noch nicht so, dass er andernorts einsteigen könnte. Beim Wort «Ausgang» lächelt Alexandra enttäuscht. Ausgang kenne sie nicht, sagt sie knapp. Sie macht sich auch oft Vorwürfe, weil sie meint, versagt zu haben.

Warum habe ich das Leben nicht besser hingekriegt?

Armut schränke ein. Vor allem, wenn sie den Kindern Wünsche abschlagen muss, bedrückt sie das. Ein Schwimmkurs für das eine Kind wäre beispielsweise ein Traum geblieben, wenn die Familie nicht geholfen hätte.

«Meine Schwester hat den Kurs bezahlt», sagt sie dankbar.

In der Schreibwerkstatt der Caritas hat sie gelernt, sich zu auszudrücken. Sie schrieb etwa ihrem Mann einen Brief und sagte, wie sie sich als arme Frau fühle. Sie hätte sich im direkten Dialog nicht ausdrücken können, meint sie. Im Brief konnte sie ihren Gedanken aber Ausdruck verleihen. Ihr Mann habe geweint, als er den Text gelesen habe. Überzeugt sagt Alexandra:

«Er hat begriffen, wie ich mich fühle, das hat mich wahnsinnig gefreut».

Trotzdem hofft sie, dass es der Familie materiell bald einmal besser gehen werde.

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Weitere Informationen: www.caritas-zuerich.ch

Text und Fotos: Viviane Schwizer

Text und Fotos: Viviane Schwizer