Kirche aktuell

Reiss den Himmel auf…

Reiss den Himmel auf…
Leiter Ressort Pastoral Generalvikariat
Rudolf Vögele
Rudolf Vögele
21. November 2013

Gedanken zur «Roratefeier» im Advent. In der vorweihnachtlichen Zeit werden in vielen Kirchen, meist frühmorgens, besinnliche Lichtfeiern gehalten. Es hat schon was Mystisches an sich, wenn man – wie beispielsweise die Krypta der Zürcher Liebfrauenkirche – einen solchen Raum betritt, der nur mit Kerzenlicht erhellt ist. Und noch mysteriöser wird es dann, wenn die Anwesenden anfangen zu singen: «Rorate caeli desuper, et nubes pluant justum».

Sturm FOTO: Rudolf Vögele

… mach Schluss mit diesem Jammertal

Hinter diesem lateinischen Vers, der immer und immer wieder gesungen wird, steckt eine uralte menschliche Sehnsucht: dass doch endlich einmal Gerechtigkeit und Frieden herrschen soll. Die Übersetzung ist gewöhnungsbedürftig: «Tauet Himmel, von oben, ihr Wolken, regnet den Gerechten». Da war Friedrich Spee 1622, also während des 30jährigen Krieges, schon etwas direkter und plastischer: «O Heiland, reiss die Himmel auf, herab, herab, vom Himmel lauf! Reiss ab vom Himmel Tor und Tür, reiss ab, wo Schloss und Riegel für!». Auf gut deutsch: Lass endlich mal ein Donnerwetter los und hau‘ die Selbstgerechten von ihrem selbstgemachten Sockel! Nur so kann der Misere ein Ende bereitet werden, dass wenige über sehr viele herrschen, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden, die Erde am Konsumrausch der Wohlhabenden verblutet und dieses Leben für zu viele nur ein Jammertal ist und bleibt.

… und mach uns sehnsüchtig

Die Gottesdienstgemeinde, die sich zu solchen Roratefeiern versammelt, erstarrt aber nicht im ‹Schrei nach oben› – zumindest sollte sie dies nicht. Denn letztlich geht es darum, dass diejenigen, die so beten und singen, sich absichtlich in den Regen stellen mit denen, die im Regen stehen gelassen werden, in der Hoffnung und Erwartung, dass gerade so «der Gerechte», die Gerechtigkeit wieder zum Vorschein kommt. Wer am Morgen «rorate caeli» – «Tauet Himmel den Gerechten» singt, singt von seiner Sehnsucht nach Gerechtigkeit. Und er bzw. sie macht sich so auch süchtig, alles ihm bzw. ihr Mögliche zu tun, dass zumindest ein kleiner Spross des Friedens keimen und wachsen kann.

… dass Himmel und Erde sich berühren

Manchmal übersehen wir nämlich vor lauter Zorn auf die ‚Sadats‘ und ‚Mubaraks‘ auch in unserem Lebensumfeld, dass auch wir nicht ganz unschuldig sind. Es mangelt auch uns nicht selten an Versöhnungsbereitschaft, an Verlässlichkeit, an Grosszügigkeit. Dazu kann so eine Roratefeier schon animieren: über den eigenen Schatten zu springen, Fünfe auch mal grad sein zu lassen, sich nicht so wichtig zu nehmen. In diesem Sinn erlaube ich mir auch, in einem solchen Gottesdienst den ursprünglichen Text abzuändern und zwischen den Kehrversen zu beten:

V.: Komm, du Gerechter, und lass uns mutig streiten für Gerechtigkeit. Lass uns ein Stimme sein für die Verstummten, eine Stütze für die Lahmen und eine Sehhilfe für die Erblindeten. Hol uns raus aus unserer Selbstgerechtigkeit und Selbstgefälligkeit und sende uns dorthin, wo wir gebraucht werden.

«Rorate caeli desuper et nubes pluant iustum»

V.: Denn betrübt sind viele, resigniert und frustriert von den Machenschaften der Mächtigen. Hoffnungslos und ohne Perspektive sehnen sie sich nach den Heilsbringern, nach Visionären, nach Frieden und Gerechtigkeit. Komm, du Gerechter, und nimm uns als deine Gehilfen.

«Rorate caeli desuper et nubes pluant iustum»

V.: Lass uns vertrauen auf deine Zusage: „Ich werde dich retten, fürchte dich nicht. Denn ich bin der Herr, dein Gott, der Heilige Israels, dein Erlöser.“ Lass uns tief dir vertrauen und dich feiern, in diesem Gottesdienst, in unserem Leben, zum Heil für uns selbst, zum Heil für die Welt.

«Rorate caeli desuper et nubes pluant iustum»

Rudolf Vögele

Leiter Ressort Pastoral Generalvikariat ZH-GL