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Neue Gesichter der Schweiz: Identität und Integration

Redaktionsteam
Katholische Kirche im Kanton Zürich
Die Beiträge im Blog geben die Haltung der Autoren wider und müssen nicht in jedem Fall mit der offiziellen Haltung der kirchlichen Körperschaft übereinstimmen.
Katholische Kirche im Kanton Zürich
28. September 2016

Am Sonntag (2. Oktober 2016) feiert die Missione cattolica di lingua italiana Zürichsee-Oberland (MCLI) ihr Jubiläum in der Pfarrei St. Georg Küsnacht. Der Gottesdienst mit Erzbischof Joseph Kalathiparambil (Päpstlicher Rat der Seelsorge für die Migranten und Menschen unterwegs) beginnt um 10.30 Uhr. Ein zweisprachiges Fest mit Musik und Tanz folgt im Anschluss im Pfarreizentrum.

Don Placido Rebelo ist der Seelsorger für die italienisch sprachigen Katholikinnen und Katholiken in der Region. Aber er ist Inder und macht sich hier Gedanken zu Identität und Integration:

Ich wurde in eine indo-portugiesischen Familie in Goa geboren, das zwischen 1510 und 1961 eine portugiesische Kolonie war. Das Umfeld in Goa war recht europäisch und auch teilweise lateinamerikanisch geprägt.

Kirche St. Catejan in Alt-Goa

Kirche St. Catejan in Alt-Goa

Goa – eigentlich berühmt für seine Strände und das Hippieleben – ist seit Jahrhunderten der Mittelpunkt des katholischen Lebens in Asien. In diesem Umfeld, das sich sehr vom Rest Indiens unterschied, war meine kulturelle Identität nie Thema. Auch nach der Befreiung von der portugiesischen Herrschaft nicht. Das war erst später der Fall, als ich politische Wissenschaften an Universität von Bombay studierte. Ich spürte, dass ich anders war als die anderen Studierenden.

Mein Essens- und Musikgeschmack, meine Art mich zu kleiden und zu denken, mein ganzer Lebensstil trennte mich von ihnen.

Es gibt in Indien ganz unterschiedliche Facetten der Indentität:

  • die ethnische Identität, die nach der Kaste bestimmt wird
  • die religiöse Identität
  • die kulturelle (regionale) Identität
  • sowie die nationale Identität.

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In meinem Fall wurde ich in die dravidische Sprachgruppe und in die Akshtriya Kaste (2. Stand der Krieger und Könige) geboren. Als Katholik lebte ich in einem Dorf ohne Hindus, was meine christlich-religiöse Identität verstärkte. Die indo-portugiesische Kultur in Goa beeinflusste meine kulturelle Identität, während mein Pass mir eine indische Nationalität bescheinigte.

Das ist nur ein einfaches Beispiel dafür, wie komplex eine Identität aufgebaut sein kamm und so die Persönlichkeit beeinflusst!

Einfache Zeit in Goa

Alles war ganz einfach, als ich noch in Goa lebte. Es wurde schwierig, als ich Indien für weitere Studien verliess und in Europa, Israel und den USA lebte. Ich beneidete Menschen, die eine klare kulturelle Identität hatten. Vielleicht ist das aber ein Privileg, das nur ganz wenige Menschen haben. Nehmen wir an, auch die Schweizer kulturelle Identität sei ganz klar definiert. Ich sehe schon, wie Sie die Stirn runzeln!

Indien ist ein Schmelztiegel der Kulturen. 29 Bundesländer („federal states“), 1.5 Milliarden Menschen, 30 verschiedene Sprachen, die offiziell anerkannt sind. Fragen Sie nicht, wie viele Dialekte wir haben –  sicher zu viele! „Einheit in der Vielfalt“ sind nicht nur leere Wörter. Sie passen zu einem Land, das eine unglaublich reiche Kultur hat.

50 Jahre MCLI Zürichsee-Oberland

Wenn ich hier als Missionar anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums des MCLI über die vielen Migranten im Kanton Zürich nachdenke, freue ich mich, dass ich ihr Leben durch meine Erfahrungen verstehen kann. Auch ich musste mein Land fürs Studium verlassen, neue Sprachen lernen und neue Kulturen erfassen, in dem ich Freunde auf der ganzen Welt kennen lernte. Die Italiener haben schon seit Jahrhunderten mit den Auswirkungen der Migration zu kämpfen. Noch vor einem halben Jahrhundert war die Schweiz ein anderes Land als jetzt – auch im Umgang mit Migranten. Nichtsdestotrotz haben die Italiener durch ihre harte Arbeit viele Hürden überwunden und haben so Anteil am Fortschritt der Schweiz. Sie sind diesem Land dankbar, auch für den Respekt, den sie erfahren durften. Das Leben war nicht leicht für sie. Aber wir sollten nicht die Vergangenheit beurteilen oder sogar verurteilen. Wir können aber versuchen, eine bessere Zukunft zu gestalten.

Die Zukunft ist schon da

Das Schweizer Gesicht ändert sich. Statistiken unterstreichen das Bild auf der Strasse, in Schulen, Krankenhäusern, Supermärkten. In der Stadt und den Vororten sind neue Töne zu hören, neue Gerüche zu riechen. Viele Menschen sind in den letzten Jahren neu in die Schweiz gekommen: aus Entwicklungsländern, aus Industrienationen, manche legal, manche ohne Papiere. Manche kommen mit viel Wissen und Berufserfahrung, andere sind unqualifizierte Arbeiter. Manche haben bereits Familie und Freunde hier, andere nicht. Manche sprechen bereits deutsch, andere nicht.

Egal wie: Das sind die neuen Gesichter der Schweiz.

Sie haben dieselben menschlichen Bedürfnisse wie alle Menschen. Zudem brauchen sie Unterstützung nicht nur beim Spracherwerb, sondern auch um den hier geltenden Lebensstil zu verstehen. Ihnen sollte die Eingliederung in ihr Gastland durch spezielle Angebote erleichtert werden.

Integration ist Teilhabe

Manche Menschen denken, dass Integration etwas mit Chauvinismus, mit einer Art Überheblichkeit zu tun hat. Sie bevorzugen stattdessen eine Idee des Teilens und Teilhabens:  Jede Kultur hat etwas anzubieten und bereichert so die andere Kultur. Natürlich geht es nicht darum, die Identität zu verändern oder zu übergehen. Es geht auch nicht um Assimilation . Niemand sollte Angst haben, etwas Wichtiges aus seiner Kultur verdrängen zu müssen.  Aber durch das Zusammenwirken können Vorteile zu entstehen. Andere Kulturen kennen zu lernen, sie zu verstehen, ja sie aufzusaugen, ist eine lange, aber faszinierenden Reise! Für die Menschen, die in der Schweiz geboren und aufgewachsen sind in der Schweiz, für die zweite und dritte Generation von Migranten-Familien, verbessert sich das Leben. Und für mich ist es das Allerschönste und sehr ermutigend zu beobachten, wenn Frauen und Männer aus unterschiedlichsten Kulturen sich kennen lernen, zu Freunden werden – oder sich sogar bei mir in der MCLI trauen lassen.

Don Placido Rebelo