Kirche aktuell

«Lebensmittel-Spekulation ist verwerflich»

«Lebensmittel-Spekulation ist verwerflich»
Redaktionsteam
Katholische Kirche im Kanton Zürich
Die Beiträge im Blog geben die Haltung der Autoren wider und müssen nicht in jedem Fall mit der offiziellen Haltung der kirchlichen Körperschaft übereinstimmen.
Katholische Kirche im Kanton Zürich
02. Februar 2016

Hinter der Initiative gegen Spekulation mit Nahrungsmitteln stehen auch die kirchlichen Hilfswerke. Aber ihre Chancen sind gering. Für den Immenseer-Missionar und Spezialisten für Tropenlandwirtschaft Al Imfeld ist sie trotzdem wichtig.

Wie soll ich etwas schriftlich angehen, das aus mehreren Seiten besteht. Mehrdimensionalität lässt sich nur schwer schriftlich abhandeln. Bei einer Malerei kann man leichter Mehrdimensionalität und Vieldeutigkeit in einem Bild gleichzeitig darstellen. In einem Bild vermag der Künstler mehrere und auch gegensätzliche Blickpunkte in einem  Bild vereint, darstellen. Dazu ist das Schriftliche kaum fähig.

Was ich damit meine in Bezug zu Rohstoffhandel? Ich muss diesen umkreisen und von verschiedenen Seiten und aus immer neuer Distanz betrachten. Das läuft dann so ab.

  1. Selbstverständlich ist Lebensmittelspekulation verwerflich, denn sie trifft stets die untere Schicht und die Ärmsten. Die Auswirkungen aufs Ganze sind unklar.
  1. Doch so etwas kann nicht mit einem Verfassungstext oder einem Gesetz hierzulande in der Schweiz gestoppt werden. Wir Schweizer sind im internationalen und globalen Markt bloss noch eine Schmeissfliege.
  1. Andere können daher diese schweizerische Abstimmung wie eine Kafkaeske betrachten. Negativ als Überschätzung und Grössenwahn von Zwergen.
  1. Positiv. Unentwegte Kämpfer und Kämpferinnen werden sagen, dass man unten, auf dem Punkt, irgendwo beginnen müsse. Ich gebe ihnen recht. Auch das ist ein Standpunkt. Sie werden zwar bei einer Abstimmung kaum eine Chance haben, denn dort handelt es sich um Macht und nicht um das Gute., nicht um Wandel sondern ein Gesetz.
  1. Diese Stimmenden sagen meistens: Es geht uns, um ein Zeichen zu setzen. Man handelt also wie der Rufer in der Wüste. Unentwegt, furchtlos und ohne über das Resultat enttäuscht zu sein.
  1. Ich denke etwas anders und behaupte, für so ein vernetztes Thema müsste weltweit ein Klima oder eine Stimmung des Unmuts geschaffen werden. Ich würde eher auf die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen ( Food and Agriculture Organization of the United Nations) FAO in Rom zugehen und die UN Organisation auffordern, nicht nur für die Agrarmultis zu Hand zu sein. Ich würde versuchen, das Thema mehr bei der Welthandelsorganisation ( World Trade Organization) WTO oder Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (Welthandels- und Entwicklungskonferenz United Nations Conference on Trade and Development) UNCTAD , zwei UN Organisationen, die sich mit Welthandel institutionell auseinandersetzen, vorzubringen. Dazu braucht es mehr auf solche Institutionen ausgerichtete kritische Studiengänge, die Technisches mit Ethischem mehr verknüpfen lernen.
  1. Dies müsste zwar endlich energischer angegangen werden, denn es dauert mindestens 2 Generationen, bis endlich eine bestimmte allgemeine Aufregung zu diesem rein materialistischen Handeln geschaffen ist.
  1. Und damit komme ich vom Langfristigen zum Idealistischen zurück, das da heisst, das eine tun und das andere nicht lassen. Also einen positives Signal der Empörung setzen, ins Horn in die Welt hinaus blasen: So nicht! So kann der Abstimmungskampf viel sachlicher angegangen werden.
  1. Man darf ruhig ein bisschen die Kurzsichtigkeit der Mächtigen lächerlich machen. Dazu brauchen wir viel mehr das Cabaret. Humor wirkt stets eher als Worte.

Die Börse hat längst die Begriffe Raum und Zeit verloren; sie ist zur modernen Wetterfahne begleitet von einer Wurstmaschine geworden. Sie ist eine Droge auf höherem Geld-Niveau. Ein Rauschgift, gegen das kaum eine Abstimmung hilft.

  1. Mit Worten allein und mit Gesetzen wird selten etwas verändert. Beide sind eher Zeichen der Frust in die Luft hinaus wie Seifenblasen verblasen.
  1. Daher möchte ich das schwerwiegende Problem der Rohstoffspekulation zuerst in andere Dimensionen stellen, bevor ich hilflos an die Urne gehe, weil mir die Möglichkeit, eine Karikatur oder einen Spottvers auf den Stimmzettel zu zeichnen oder schreiben, fehlt..
  1. Wir haben eine andere Einstellung zu Lebensmitteln noch mehr vorzubereiten. Viel ist bereits im Gange. Wir haben von allen Lebensmitteln den Aspekt des Handels und des Verdienens von Geld anders sehen zu lernen: vernetzter und nicht getrennt zwischen Nahrungsmittel und Geldverdienst. Alle Nahrungsmittel als eine Einheit, primär zur Ernährung von Menschen und den Überfluss als Austausch zur Teilhabe an anderen Nahrungsmitteln der Welt, denn Essen ist ein Kulturereignis, das Menschen verbinden kann. Selbstversorgung ist ein nationalistisches und kein weltumspannendes Konzept.
  1. Wir haben zu sehr auf die Nahrungsmittelmultis konzentriert und zu wenig am Aufbau von genossenschaftlichen oder von uns kontrollierten Modellen gearbeitet.

Alle Esser weltweit wollen alles billig und noch billiger. Dabei realisieren diese Konsumenten nicht, dass sie dadurch automatisch grosse Supermarktfirmen wie Migros, Coop, Aldi u.a. fördern, die dann die Bauern im Preis drücken müssen, um zum Billigpreis zu kommen. Selbst diese Ketten zeigen, wie alles vernetzt ist. Alle und alles hängt voneinander ab.

  1. Wie kontrolliert man Verflechtungen? Ganz bestimmt nicht mit Gesetzen. Gerade auf dem Sektor von Nahrung hat das Nationale bloss noch einen Anteil von einem Drittel. Die restlichen Zweidrittel teilen sich in Handel (Importe-Exporte) und industrieller Nahrungsmittel. Die Zeit nationaler Gesetzgebung ist am Schwinden.
  1. Wir brauchen eine Ethik, die weltweit greift. Es entwickelt sich neues Völkerrecht und Menschenrecht. Wir müssen uns einen neuen ethischen Umgang u.a. mit Atom, Gen oder digitaler Intelligenz, und noch mehr mit Worten, die wenig Ausdruckskraft mehr besitzen, etwa Friede, Gerechtigkeit, selbst Armut und Krieg, aneignen, und diese Neu-Einstellungen mit Spiritualität pflegen.
  1. Kein Pessimismus hat da einen Platz; es geht um Neugierde und Innovation. Wir befinden uns nicht am Ende der Geschichte, aber auch nicht mitten im Kampf der Kulturen. Wir leben in einem enormen Umbruch.
  1. Ich kann nach all dem Dargelegten gegen die Rohstoffspekulation sein, wenn ich es von jeglicher Partei loslöse und diese Abstimmung als einen kleinen Stein im Bauwerk einer anderen Zukunft sehe. Warum nicht Don Quixote mit Sancho Pancho, beide als Figuren viel verlacht, doch sie leben heute noch. Er sei eine Mahnung an alle Gesetzesgläubigen: Literatur wirkt mehr als Gesetze und Paragraphen.
Al Imfeld_FOTO_Christoph Wider

Al Imfeld_FOTO_Christoph Wider

Al Imfeld, geboren 1935 in Ezenerlen (Kanton Luzern), studierte Theologie, Philosophie, Journalistik, Entwicklungssoziologie und Agrarwissenschaften (Tropenlandwirtschaft). Nach vielen Reisen über die Kontinente kehrte er Anfang der Siebzigerjahre bewusst als Vermittler zwischen Kulturen, Religionen, Denkweisen und Lebensstilen in die Schweiz zurück. Al Imfeld ist bekannt als einer der besten Afrikakenner, als engagierter Aufklärer und Vermittler. Er lebt in Zürich.