Kirche aktuell

Ist Gentechnik mehr als ein frommer Weihnachtswunsch?

Ist Gentechnik mehr als ein frommer Weihnachtswunsch?
Leiter sozialethisches Institut «ethik22» in Zürich
Thomas Wallimann-Sasaki
Dr. theol. Thomas Wallimann-Sasaki ist Leiter des sozialethischen Instituts «ethik22» in Zürich, Präsident a.i. der sozialethischen Kommission Justitia et Pax der Schweizer Bischofskonferenz und Dozent für angewandte Ethik an verschiedenen Fachhochschulen.
Thomas Wallimann-Sasaki
22. Dezember 2015

Erbgut gezielt zerstückeln, unerwünschte Teile davon austauschen und erwünschte neu zusammensetzen? Das ist fast wie Weihnachten und verspricht den Himmel auf Erden – wenigstens aus Sicht der Wissenschaft: jetzt können alle Wünsche erfüllt werden. Doch: Dürfen wir alles, was wir können? Oder müssen wir uns selber Grenzen setzen, um glücklich zu sein?

Die Genschere: günstig und einfach

Seit jüngstem kennt die Wissenschaft eine unkomplizierte und günstige Methode, um Erbgut präzis zu zerschneiden und zu verändern. Das Kürzel „Crispr-Cas9“ steht für „Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats“. Organismen, die mit dieser Methode verändert wurden, geben die neuen Erbinformationen an die nächste Generation weiter.

Angelika Jacobs ist Biologin und Wissenschaftsredaktorin. Im Artikel „Mit dem Korrekturstift ans Erbgut“ (NZZ 16.12.2015) beschreibt sie wie man mit «Crispr-Cas9» Gene „editieren“ – d.h. abändern, Teile entfernen oder auch einfügen kann. Es lässt sich der „perfekte“ Mensch erneut erträumen, da man nun einfach entsprechende Gene und Teile davon entfernen und damit Menschen von ihren genetisch vererbten Krankheiten und Krankheitsrisiken befreien kann. Schon in 50 Jahren werde dies ganz neue Möglichkeiten bieten. Einziger Vorbehalt: man müsste bis dahin besser wissen, wie die Gene und ihre Teile wirklich zusammenspielen. Und – was noch bedeutender erscheint – man müsste dann auch wissen, wozu scheinbar unnütze Gene und Teile sowie selbst Gene, die mit Krankheiten verbunden sind vielleicht auch gut sind.

Anders gesagt:

Wir müssen zuerst alles (!) wissen, damit wir eben dann auch „alles“ tun können und dann „alles“ gut wird.

Kommt uns das nicht irgendwie bekannt vor? Begegnet uns hier nicht einmal mehr das gleiche Muster, das wir aus der Entdeckung der Dampfmaschine, der Kernenergie, dann der Genetik in ihrer ersten Phase und teilweise auch aus der Informatik sowie der Google-isierung der Gesellschaft kennen?

  • Die heile Welt ist nur ein paar Erfindungen und ein paar kleine technische Schritte entfernt.
  • Energie wird es à discrétion geben, Armut wird verschwinden und Bildung allen zugänglich sein und damit die gute heile Welt nur eine Frage des technischen Fortschritts.

Fast wie Weihnachten? Leider nein.

Fast wie Weihnachten: Wenn mir nur meine Wünsche erfüllt werden, dann kann ich glücklich sein? Leider nein, denn wir leben nicht im Paradies!

Auch diese neue Technik wird uns keine krankheitsfreien Menschen erschaffen lassen – aber sie wird uns einmal mehr mit der Frage konfrontieren, wie wir leben wollen. Sie wird uns fragen: Wer soll denn von solchen Techniken profitieren? Welche Einflüsse haben solche Entwicklungen auf unser Zusammenleben? Und wer sind die Verliererinnen unseres Tuns und Schaffens?

Ein Blick in die Geschichte der Industrialisierung, der Kernenergie, der Genetik und der Informationstechnologie zeigt mit fast erschreckender Sicherheit zwei Dinge:

  1. Die heile Welt wurde damit nicht geschaffen.
  2. Macht- und Ausbeutungsverhältnisse wurden verschärft oder neu geschaffen und zementiert!

Eine Frage der Macht

Die versprochene Transparenz, Energie und eine Welt ohne Armut und Unwissen stellen in jedem Fall die Machtfrage und führen auch Machtexzessen.

Nicht Freiheit haben wir gewonnen, sondern die Erfahrung, dass wir kontrolliert werden (können) und immer mehr abhängig sind.

Neue Techniken allein führen also nicht zur heilen Welt – aber zur alles entscheidenden Frage: Wie gehen wir Menschen mit uns selber um? Welche Freiheiten halten wir für wichtig? Wie tragen wir zu ihnen Sorge? Und was passiert mit jenen, die keinen Zugang haben, sich nicht selber einbringen oder auch ausdrücken können?

Es ist wie an Weihnachten: Wünschen gehört im Kern dazu. Doch wirklich schön ist Weihnachten nicht, wenn wir uns heile Welten unter den Christbaum zaubern, sondern wenn es gelingt, uns selber zu sein. Dazu gehören unsere Grenzen – und das Glück, diese annehmen zu können.