Kirche aktuell

In Sihlcity erwartet man keine Kirche – man findet aber eine

In Sihlcity erwartet man keine Kirche – man findet aber eine
ehemals Seelsorger Sihlcity Kirche
Guido Schwitter
Guido Schwitter
11. Dezember 2013

Am alten Kamin der früheren Sihl-Papierfabrik leuchten unzählige Lämpchen. Die Kalandergasse begleitet die Einkaufenden mit Beleuchtung über den Köpfen und am riesigen Weihnachtsbaum strahlen tausende von verschiedenfarbigen Lichtern. Eine zauberhafte Stimmung. Es ist Advent.

Im Einkaufszentrum geht es um den Verkauf in den Läden, um möglichst viel Umsatz. Die Geschäfte sind weihnachtlich herausgeputzt, um die Konsumenten zum Einkauf anzulocken. Mit der Advents- und Weihnachtszeit steht und fällt in jeder Branche die Bilanz des Jahresumsatzes. Es geht ums Geschäft. Da ist auch viel Luxus.

Ist das nicht ein Schlag ins Gesicht der armseligen Stallkrippe bei der Geburt Jesu in Bethlehem? Diese Frage beschleicht mich seit sieben Jahren als Seelsorger der Sihlcity-Kirche jeweils während der Advents- und Weihnachtszeit.

Werte, die man nicht kaufen kann

Ebenso ist mir aber auch erfreulich bewusst, dass wir mit der Sihlcity-Kirche und ihrem Angebot der einzige ausdrückliche Ort im Center sind, der mit Kapelle, Gemeinschaftsraum und Seelsorge den Menschen Werte anbietet, die man eben nicht kaufen kann. Eine kleine Provokation.

An einem Ort des Verkaufsrummels – mit Werten, die die Kirchen liebevoll vermitteln wollen: die Würde aller Menschen; Nähe zu den Menschen; das Angebot der Seelsorge mit Einzel- und Gruppengesprächen; eine Oase für Einsame und Verlorene. Wir gehen miteinander solidarisch ein Stück des Weges mit leidenden oder gestressten Menschen. Ein bescheidener, aber ernsthafter Versuch, gerade in dieser Zeit dem nachzufolgen, was der an Weihnachten Geborene bis zu seinem Tod gelebt hat. Er hat Werte gelebt, die man bis heute nicht kaufen kann.

Advent Sihlcity 1
Lichter in eine friedlose Zeit

So hat die Kirche in Sihlcity eben auch ihre Botschaft und ihre Lichter: Das Evangelium von Jesus Christus, in dessen Obhut wir uns selber sein dürfen. Frieden empfangen und weitergeben können in einer friedlosen Zeit. Auch mit der Osterkerze in der Kapelle und den Opferlichtern auf der Kerzenbank. Wer in die Gesichter der über den Kalanderplatz strömenden Menschen in der Adventszeit schaut, sieht diese oft freudig-erwartungsvoll, aber auch angespannt und verkrampft. In der Kapelle und in unserem Gemeinschaftsraum können sie eine Zuflucht finden, wo die Frohbotschaft des Evangeliums Ruhe, Zuversicht und Angenommensein ausströmen.

Wir Seelsorgenden und Freiwilligen finden es von den drei Landeskirchen in der Stadt Zürich eine grossartige, innovative Errungenschaft, dass sie ausgerechnet im Einkaufs- und Vergnügungszentrum von Sihlcity ein ökumenisches und interreligiös offenes Angebot zur Verfügung stellen. Auch viele Schulklassen und Erwachsenengruppen wissen diesen kulturellen, religiösen und interreligiösen Lernort zu schätzen.

Wie Weihnachten feiern?

Der Advent ist auch geprägt von Menschen, die unsicher sind im Umgang mit dem Weihnachtsfest. Manchen von ihnen begegnen wir in der Seelsorge. Menschen, die es in ihrer Depression nicht schaffen, mit ihren Angehörigen oder Nahestehenden Kontakt aufzunehmen und an Weihnachten einsam zu bleiben drohen. Menschen, die sich den Kopf zerbrechen, wie sie Weihnachten feiern können, angesichts der Konflikte in der Familie. Menschen, die Mühe haben zu glauben, dass das Kind in der Krippe von Bethlehem der Sohn Gottes sein soll. Menschen, die in der Weihnachtszeit durch Jugenderinnerungen belastet sind. Menschen, bei denen zur Weihnachtszeit alte Wunden aufbrechen und diffuse Ängste auslösen. Menschen,
die einen geliebten Angehörigen verloren haben und ihn gerade in dieser Zeit
schmerzlich vermissen

In solchen Situationen und Momenten nicht alleine sein und gut aufgehoben sein, ist sehr wertvoll für den einzelnen Menschen. In den Gemeinden gibt es gute Gottesdienstangebote. Zu uns nach Sihlcity kommen jedoch viele, die den Weg zur Kirche sonst kaum finden. Seien es gestresste Berufsleute, Manager, Reinigungsfachleute, Verkaufspersonal vom Ort oder auch Einkaufende und weitere Besucher vom Einkaufszentrum.

Da kann es gut sein, dass Sie nach einem Besuch bei mir nachher mit einem „Hosesagg-Ängeli“ von dannen gehen.

Taschenengel
Es kann auch ein Fingerkreuz sein, das Sie in Ihrer Manteltasche manchmal festhalten. Oder bald zerfliesst ein feiner Schoggi-Hüppen in Ihren Gaumen; den hat uns die Confiserie in der Sihlcity geschenkt, um Ihnen Ihren Tag zu versüssen. Oder Sie erhalten bei uns eine Suppe aus dem nahen Gastronomiebetrieb geschenkt – jeweils am Mittwochmittag.

Eine herzliche, gesegnete Adventszeit!

Guido Schwitter
Seelsorger Sihlcity-Kirche