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Im Alter kommt vieles zur Reife

Im Alter kommt vieles zur Reife
Redaktionsteam
Katholische Kirche im Kanton Zürich
Die Beiträge im Blog geben die Haltung der Autoren wider und müssen nicht in jedem Fall mit der offiziellen Haltung der kirchlichen Körperschaft übereinstimmen.
Katholische Kirche im Kanton Zürich
01. Dezember 2015

«Ich bin hier im Hotel, ich kann mich einfach an den Tisch setzen, brauche keinen Abfallsack nach draussen zu tragen…!» «Ich hatte eine schöne Wohnung und einen gepflegten Garten, alles ist weg, Möbel konnte ich fast keine mitnehmen!»

Mit so unterschiedlichen Einstellungen sprechen Menschen vom Wohnen im Alterszentrum. Es sind deshalb drei Gedanken, die mich bei meiner Arbeit begleiten:

  • Wenn eine Bildhauerin ein Werk erschafft, dann haut sie zuerst die grossen Steinbrocken weg,
  • anschliessend gibt sie dem Stein mit immer gezielteren Schlägen die Form, die ihr vorschwebt.
  • Aber die ganze letzte Etappe ist der Kleinarbeit gewidmet, erst das geduldige Ausarbeiten und Schleifen vollenden das Kunstwerk.

Als junge Menschen treffen wir grosse Entscheidungen, dann verwirklichen wir unsere Träume. Die Vollendung des Kunstwerkes unseres Lebens liegt oft im den geduldigen Schritten des Reifens, wenn keine grossen Späne mehr fliegen.

Vielleicht ist das Bild des Bauens noch treffender: Wer ein Haus baut, erstellt recht schnell den Rohbau. Genauso lange dauert die Fertigstellung. Für den Besitzer wird das Haus aber erst dann persönlich, wenn er es liebevoll einrichtet.
Im Alter geschieht die Vollendung nach innen. Ich bewundere, was aus einem zerfurchten Gesicht spricht und bin fasziniert, wenn aus einem fast erloschenen äusserlichen Bewusstsein ein wunderbares Leuchten in die Augen aufsteigt.

Manche bedauern den «Verlust ihrer Selbständigkeit». Es will gelernt sein, sich helfen zu lassen; ganz besonders in der Körperpflege ist das nicht einfach. Aber waren wir denn je selbständig? Sicher nicht als Kleinkinder und Kinder, auch nicht als Schüler, wo Lehrerpersönlichkeiten uns prägten; auch nicht im Beruf, wo das Gelingen oft von den Mitarbeitern abhängt. Und wer erntet noch sein eigenes Brot? Wer kann sein Klima schützen?

«Was kann ich denn noch tun?»

Sehr viel! Die Tochter einer Bewohnerin sagte mir einmal: Wenn ich zur Mutter komme, tauche ich ein in eine andere Welt. Wenn ich sie im Rollstuhl durch den Garten schiebe, sehe ich mit ihr plötzlich wieder Pflanzen wachsen, höre Vögel pfeifen. Was träumen Menschen im Arbeitsprozess nicht von Entschleunigung! Und das ist nicht das Einzige, was die Senioren uns bieten können, auch das Zuhören, das Anteil nehmen.

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Foto: Viviane Schwizer

Ich durfte erfahren, dass Altwerden auch bedeutet, den Sinn für das Wesentliche zu schärfen. Oft wechselt das Gespräch sehr schnell vom Small Talk zu zentralen Lebenserfahrungen und existentiellen Fragen.

Im Alter stellt man Lebensfragen nicht mehr spielerisch, sondern ganz, aus einer vorher ungeahnten Tiefe heraus. Viele Glaubensvorstellungen verlieren ihren äusseren Glanz und machen tiefer Verbundenheit, Staunen und herzlicher Dankbarkeit Platz.

Nicht selten wächst gleichzeitig der Zweifel. Es ist mir wichtig, die Leute mit den Fragen nach dem Sterben, dem Sinn des Lebens und mit ihren gut verborgenen Ängsten nicht allein zu lassen, wenn Angehörige zu betroffen sind und vor solchen Gesprächen zurückweichen.

Zita Haselbach

Zita Haselbach

Zita Haselbach ist Seelsorgerin im Alterszentrum Rosental