Kirche aktuell

Einsatz als Freiwillige im Spital Triemli

Einsatz als Freiwillige im Spital Triemli
Frühere Informationsbeauftragte Synodalrat
Kerstin Lenz

Schwerpunkte: Online-Kommunikation, Publikumsanlässe und Events

Kerstin Lenz
15. Mai 2014

Vor 20 Jahren brachte der Chefarzt Raoul Pescia aus Kanada eine Idee mit: Freiwillige sollten für einsame, ängstliche und Sterbende Patienten menschliche Präsenz bieten. Mit Hilfe der Spitalseelsorgenden im Stadtspital Triemli entstand so die „Freiwillige Nacht und Krisenbegleitung“.  Zwei Nächte pro Monat verpflichten sich die Freiwilligen zu einem achtstündigen begleitenden Einsatz. 50 sind es derzeit – Berufstätige und Pensionierte mit den verschiedensten Erfahrungshintergründen. Ruth Jäger ist eine der freiwilligen Begleiterinnen.

Hier ihr Bericht:

Ruth Jäger
Ein Einsatz als Nacht- und Krisenbegleitung beginnt nachts um 21.30 Uhr und dauert bis zum nächsten Morgen um 5.30 Uhr. Doch eigentlich fängt es schon viel früher an. Nämlich am 1. jedes Monats, wenn ich mir die Einsatzdaten einpräge. Dann sitzen der Einsatztag und der Tag danach fest in meinem Agenda-Gedächtnis. Wir Freiwilligen stellen uns jeweils für zwei Einsatznächte zur Verfügung, ob ich benötigt werde, erfahre ich erst am entsprechenden Tag. Zwischen 14.45 und 15.30 Uhr erkundige ich mich bei der Disposition, ob ein Einsatz erforderlich ist. Wenn ja, erhalte ich die nötigen Informationen: Station, Zimmer-Nr., Name und Alter des Patienten. Das Alter zu kennen, ist für mich wichtig, ich gehe unbeschwerter an den Einsatz, wenn ich weiss, dass ich einen Menschen begleite, der auf eine grosse Anzahl  Lebensjahre zurückblicken darf.

Gegen Abend packe ich meine «Triemliutensilien»: Badge, ‚Jordi-Büchlein‘, Taschenlämpchen, etwas zum Lesen für mich und ein Buch mit kurzen, leicht humorvollen Geschichten. Mein «Arbeitsweg» dauert mit dem ÖV gut eine Stunde. Diese Zeit nütze ich, um mich mit dem Einsatz zu befassen und vergangene Nächte an mir vorüberziehen zu lassen. Kurz nach 21 Uhr komme ich ins Triemli. Ich begebe mich für gut 10 Minuten in die leere Cafeteria, um die Spital-Atmosphäre auf mich einwirken zu lassen. Es ist um diese Zeit ganz ruhig, nur noch die Mitarbeitenden sind da. Auf Station E hole ich ein Rapportformular und lese, falls vorhanden, den Rapport der gestrigen Begleitung. Danach fahre ich mit dem Lift auf die Station meines Einsatzes. Hier werde ich über den Zustand der Patientin oder des Patienten informiert und worauf ich achten muss. Ich gehe dann mit der Stationsleitung ins Zimmer und sie erklärt, dass ich die ganze Nacht für die Patientin oder den Patienten einfach Da-Sein werde. Das ist der Schwerpunkt meines Einsatzes, das Da-Sein.

Denn die Patienten sind medizinisch einwandfrei versorgt, haben aber nachts einfach Angst oder sind unruhig. Die verantwortliche Pflege schaut regelmässig rein, wenn ich mich unsicher fühle, kann ich aber auch klingeln. Sehr, sehr oft gehen die Nächte ruhig vorüber, bei Wachphasen der Patientin oder des Patienten tauschen wir ab und zu kurze Sätze aus. Im Vordergrund steht einfach, dass sie sich wohl fühlen. Wenn die Nacht ruhig verläuft, werde ich so gegen 1 Uhr morgens recht schläfrig und bin froh, wenn ich eine Kaffeepause machen kann. Bevor ich gehe, ist es für mich sehr wichtig, mich von den Patienten verabschieden zu können. Falls er oder sie schläft, hinterlasse ich einen kurzen Gruss und Wünsche für einen guten Tag. Mit einem Dank und «Gute Nacht» seitens des Pflegepersonals verlasse ich gegen 6 Uhr das Triemli und mache mich auf den Heimweg.

Wie es mir nach einem Einsatz geht, das ist jedes Mal anders. Manchmal ist die «Belastung» physisch, dann bin ich einfach froh, die Beine strecken zu können, und schlafe bis 11 Uhr. Wenn es eine emotional schwierige Begleitung war, höre ich manchmal das Mozart-Requiem oder schreibe die Nacht auf. Auch schon habe ich Tatjana Disteli von der Seelsorge über die Einsätze gesprochen, um sie zu verarbeiten.

Denn meine Nächte können so allerhand beinhalten: Ein nicht «allnächtlicher» Einsatz war, als ich Herrn P., einen unruhigen, dementen Patienten, begleitet habe. Schon zu Beginn verschoben wir uns in den Aufenthaltsraum, damit der andere Patient schlafen konnte. Herr P. hatte sehr kurze Schlafphasen und so plauderten wir etwas. Wenn er mich siezte, war er liebenswürdig und humorvoll, wenn er mich duzte, war sein Ton unwirsch und befehlerisch.

Auch Sterbebegleitungen sind Teil unserer Einsätze. Ich erinnere mich an Frau M., eine terminale Patientin. Ihr Sohn war dankbar, dass jemand bei seiner Mutter ist. Frau M. war während meiner Begleitung unruhig, aber kraftlos. Um 22.30 wurde Frau M. still, hat Aussetzer. Ich klingelte und die Pflegeleitung stellte fest, dass Frau M. «es geschafft» hat; die gerufene Ärztin bestätigte offiziell, dass Frau M. sterben konnte. Es war ein ganz friedlicher Moment, als Frau M. nicht mehr erwachte, nicht mehr leiden musste. Ich habe ihr noch die verkrampften Finger gestreckt und durfte sie wieder dem Pflegepersonal übergeben. Die Sterbekultur im Triemli beeindruckt mich tief: grossherzig, verständnisvoll, würdevoll.

Die freiwillige Nacht-und Krisenbegleitung wird vom Stadtspital Triemli sowie den beiden grossen Landeskirchen des Kantons Zürich getragen.

www.spitalseelsorgezh.ch