Kirche aktuell

Früher kam ich im Rollstuhl nicht in die Kirche rein

Früher kam ich im Rollstuhl nicht in die Kirche rein
Sonja Helmer-Wallimann
Projektverantwortliche Pfarreiarbeit Behindertenseelsorge Kanton Zürich www.behindertenseelsorge.ch
Sonja Helmer-Wallimann
05. Februar 2016

Peter Fischer ist ein sogenannter Inklusionsbeauftragter». Inklusion – ein sperriges Wort.  Die Behindertenseelsorge übersetzt Inklusion mit Zugehörigkeit (link hier ). Peter Fischer kümmert sich ehrenamtlich in seiner Pfarrei, St. Felix und Regula im Zürcher Quartier Hard, darum, dass Anliegen behinderter Menschen wahrgenommen werden. Er ist aufgrund seiner Erkrankung an Multiple Sklerose auf einen Rollstuhl angewiesen.

Beim Besuch der Pfarrei St. Felix und Regula fällt

Hinweis zur Induktionsanlage_Felix und Regula
auf, dass an Menschen mit einer Behinderung gedacht wird. So gibt es ein gut sichtbares Zeichen für den rollstuhlgerechten Zugang zur Kirche, einen Vermerk zur Induktionsanlage und die Information über ein behindertengerechtes Café und WC. Im Schaukasten ist das Programm vergrössert angebracht.

Peter Fischer, seit wann bist du als Inklusionsbeauftragter (früher: Beauftragter für Behindertenfragen) bei der Pfarrei Felix und Regula aktiv und warum?

Peter Fischer

Peter Fischer

Seit etwa 2003 bin ich dabei. Ich habe damals festgestellt, wie wenig auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung geachtet wird. Besonders Menschen, die es ohne Institution schaffen wollen, haben es sehr schwer. Das hat mich motiviert, mich ehrenamtlich zu engagieren. Früher kam ich mit meinem Rollstuhl nicht einmal in die Kirche bei uns rein. Auch heute noch gibt es öffentliche Veranstaltungen in der Schweiz, die ich nicht besuchen kann, weil der Ort nicht rollstuhlgängig ist. Das ärgert mich.

Ist in der Pfarrei bekannt, dass du Inklusionsbeauftragter bist?

Ja. Meine Telefonnummer ist im Pfarreiprogramm und auf der Homepage aufgeführt. Wenn mir etwas auffällt, nehme ich Kontakt mit der Gemeindeleiterin Gertrud Würmli oder dem Sekretariat auf. Beim Umbau des Kirchgemeindehauses wurde meine Meinung gehört. Immer wieder nehmen Menschen aus der Pfarrei direkt mit mir Kontakt auf. Ich informiere, wo ich Bescheid weiss. Ich motiviere die Menschen mit Behinderung, sich aktiv für ihre Rechte einzusetzen.

Inzwischen ist die Kirche St. Felix und Regula rollstuhgerecht.

Inzwischen ist die Kirche St. Felix und Regula rollstuhgerecht.

Was läuft gut in deiner Pfarrei, in der Kirche allgemein?  Wovon braucht es mehr?

Es braucht in der Kirche insgesamt mehr Dynamik. Wenn wir junge Menschen, egal ob mit oder ohne Behinderung erreichen wollen, müssen wir sie zeitgemäss ansprechen. Ich denke da zum Beispiel an eine Veranstaltung oder eine Party, von und mit jungen Menschen mit Behinderung, die pfarreiübergreifend organisiert werden könnte. Für die Inklusionsbeauftragten würde ich mir ein Tandem wünschen. Jemand, der in der Pfarrei angestellt ist und ein Mensch mit Behinderung. Beide schauen gemeinsam, was es braucht. Wir haben in unserer Pfarrei zwei Inklusionsbeauftragte. Marianne Federer als weitere freiwillige Beauftragte hat mehr die kircheninternen Anlässe im Blick. Ich schaue gern über die Pfarreigrenzen hinaus. Je mehr Menschen sich engagieren, desto besser.

Wo steht der Mensch mit Behinderung aus deiner Sicht heute?

Sehr viel wird über Institutionen und Organisationen abgedeckt. Immer noch reden häufig Menschen ohne Behinderung über Menschen mit Behinderung. Wer als behinderter Mensch selbständig leben will, hat keine Lobby und somit auch kein Geld. Das ist schwierig. Gerade die ältere Generation behinderter Menschen muss abgeholt und mobilisiert werden. Viele haben nie gelernt, sich für ihre Rechte einzusetzen und sind zum Teil auch recht bequem. Aber es wächst auch eine neue Generation von Behinderten heran. Viele wollen nicht mehr behütet werden. Sie wollen für sich selber entscheiden. Der erste Schritt ist getan: Viele Rampen sind gebaut und Behindertenparkplätze vorhanden. Nun folgt der zweite Schritt: Auf der einen Seite ist das die Umsetzung des selbstbestimmten Lebens, auf der anderen Seite die Schaffung einer Willkommenskultur in den Pfarreien.

Welche Vision treibt dich an?

Die nächsten 4 Jahre möchte ich meine Kraft für die weitere Realisierung einiger Projekte einsetzen:

  • Leichte Sprache in der Schweiz etablieren.
  • Menschen mit Behinderung in der Selbstbestimmung unterstützen und schulen.
  • Eine Begegnungsstätte oder ein Café in Zürich mit aufbauen, in dem Menschen mit und ohne Behinderung voneinander lernen können. Meine Vision ist, dass es die Trennung von Menschen mit und ohne Behinderung nicht mehr braucht und wir uns als gleichberechtigte Partner und Partnerinnen begegnen können.

Wie hast du es mit der Religion?

Religiosität hat in meiner Familie immer eine wichtige Rolle gespielt. Ich fühle mich mit den Werten der christlichen Religion tief verbunden. Ich freue mich immer, wenn ich den Kirchturm von Felix und Regula sehe.

Ich bin der Überzeugung, dass es viele spirituelle Menschen mit Behinderung hat, die keine Heimat finden. Sie sind auf eine Art ausgeschlossen. Es ist einfach so, dass ein grosser Teil der Menschen mit Behinderung abgeholt werden müsste.

Das Interview führte Sonja Helmer-Wallimann. Sie ist Ansprechpartnerin der Inklusionsbeauftragten aller Pfarreien im Kanton Zürich

Peter Fischer, 61 Jahre alt,  lebt seit 14 Jahren im Kreis 4. Seit 1974 weiss er von der Diagnose Multiple Sklerose. 1999 ist sie ausgebrochen. Besonders diese Anfangszeit beschreibt er als sehr schwierig. Niemand hat sich für ihn und seine Sorgen, auch finanzieller Art zuständig gefühlt hat. Seit 2002 ist er auf den Rollstuhl und IV-Rente angewiesen. Peter Fischer setzt sich für ein selbstbestimmtes Leben ein. Er ist Mitorganisator des Netzwerkes Leichte Sprache und aktives Mitglied bei People first-Mensch zuerst . Er ist Delegierter der Grünliberalen Partei im Kreis 4/5.

Inklusionsbeauftragte zu etablieren, empfiehlt die Behindertenseelsorge jeder Pfarrei. Besonders Frauen und Männer, die selbst eine Behinderung haben oder mit behinderten Menschen zu tun haben, könnten dieses Amt übernehmen. Häufig sind auch Angestellte in den Pfarreien als Inklusionsbeauftragte tätig. Bei weiterem Interesse dazu: www.behindertenseelsorge/pfarreiarbeit/inklusionsbeauftragte

Am 11. März 2016 bietet die Behindertenseelsorge eine Weiterbildung für Inklusionsbeauftragte und weitere Interessierte an. Sie lautet „Begegnungen ermöglichen“ und zeigt die Tücken in der Kommunikation zwischen behinderten und nicht behinderten Menschen auf.  Flyer: Fortbildung Inklusion Behinderte

Kontakt: Sonja Helmer-Wallimann www.behindertenseelsorge.ch

sonja.helmer@behindertenseelsorge.ch