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Diskriminierte Expats in Zürich und der Schweiz?

Diskriminierte Expats in Zürich und der Schweiz?
Jugendseelsorge
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Die Jugendseelsorge Zürich ist die Fachstelle für Jugendarbeit und Jugendberatung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich. Die Mitarbeitenden beraten Jugendliche und helfen ihnen professionell und unkompliziert. Die Jugendseelsorge unterstützt Pfarreien, Jugendarbeitende und Jugendverbände in Fragen rund um die kirchliche Jugendarbeit und sowie zum Thema Spiritualität für junge Menschen.
Jugendseelsorge
16. Februar 2016

In einer gross angelegten Umfrage der britischen Bank HSBC landete die Schweiz in der Kategorie «making friends» auf dem zweitletzten Rang, hinter Kuwait, Saudiarabien und 35 weiteren Ländern. Nur Schweden sind noch unnahbarer. Dies bekommen vor allem die Ausländer und die in Zürich lebenden Expats zu spüren. Sie kommen hierher und kennen meist niemanden und freuen sich darauf, neue Kontakte zu knüpfen. Das ist jedoch anscheinend nicht ganz so einfach in der Schweiz, wenn man der Umfrage glaubt.

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So seien die Schweizer nicht so sehr an allzu vielen Freundschaften interessiert und wirken eher verschlossen. Die Zurückhaltung der Schweizer werde oft als persönliche Ablehnung interpretiert und sogar als ausländerfeindlich bezeichnet. Die Expats treffen sich dann lieber mit anderen Expats, die in der gleichen Lage sind. So gibt es mittlerweile auch mehrere Expat Gruppen wie die „Glocals“ oder „ InterNations “, die regelmässige Events organisieren oder Facebook Gruppen für Expats.

Sind wir Schweizer rassistisch?

Der Artikel „Warum Schweizer keine neuen Freunde“ wollen in 20 Minuten vom 20.1.2016 zu diesem Thema löste in einer dieser Facebook Gruppen eine sehr angeregte Diskussion aus. Viele junge Erwachsene, die nach Zürich kommen, vor allem um zu arbeiten und um etwas Neues zu erleben, fühlen sich von den Schweizern nicht wirklich willkommen geheissen. Viele von ihnen erzählen von diskriminierenden und negativen Erfahrungen, die sie hier in Zürich mit den Schweizern gemacht hätten. So erzählt S. aus Polen , dass er sich wirklich Mühe gegeben habe, Kontakt zu den Einheimischen zu knüpfen, jedoch immer wieder auf Ablehnung gestossen sei, da er nicht gut Deutsch spreche. Auch M. aus New York schien bei den Schweizern auf verschlossene Türen zu stossen und sie meint, das habe ganz klar damit zu tun, dass ihr als Amerikanerin unterstellt werde, oberflächlich zu sein.

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Diese Kommentare haben mich betroffen gemacht. Diskriminieren wir die Expats wirklich? Oder ist es evtl. ein Problem von unterschiedlichen Kulturverständnissen und Gewohnheiten?

Fakt ist, dass sich viele Expats diskriminiert fühlen und da sollten wir uns überlegen, was wir genau machen, bewusst oder unbewusst, um ihnen dieses Gefühl zu geben.

Oder interpretieren sie unser Verhalten und unsere Kultur anders?

Diskriminierung der Schweizer?

Andersrum fühlte ich mich von den Kommentaren der Expats jedoch auch persönlich angegriffen, da ich selbst sehr viele ausländische Freunde habe und sie auch sehr schätze. Nun werde ich aber aufgrund meiner Nationalität als ausländerfeindlich und wenig umgänglich bezeichnet. Ist das nicht auch eine Art Diskriminierung? Allgemein denke ich, sollte man vorsichtig sein mit der Generalisierung einer Eigenschaft auf eine ganze Nationalität.

Ist es nicht vielmehr ein Persönlichkeitsmerkmal, ob jemand schnell Freunde findet oder offen auf andere zugeht, als dass es ein Merkmal einer Nationalität ist?

Ist es nicht so, dass man denselben Problemen in anderen Ländern auch begegnet als Expat? Man kommt in ein neues Land und spricht eine andere Sprache. Ist man da nicht einfach automatisch immer der „Ausländer“? Das muss dann ja nicht auf eine negative Art gemeint sein, aber es ist doch auch völlig natürlich, dass man sich ausserhalb seines eigenen Landes als „fremd“ wahrnimmt und sich nicht völlig zuhause fühlt, zumindest am Anfang. Oder passiert einem das wirklich in Spanien oder Frankreich oder sonst wo nicht? Wenn ich selber als Ausländer bereits davon ausgehe, dass mich die Schweizer nicht mögen und rassistisch sind, dann werde ich mich auch so verhalten und auf jene Beispiele fokussieren, die meine Erwartungen bestätigen. Dies nennt sich „Selbst-erfüllende-Prophezeiung“, d.h. wir tendieren dazu, unsere Wahrnehmung so zu steuern und zu interpretieren, dass unsere Erwartungen bestätigt werden.

So sagt man sich dann: „Siehst du, ich hab`s doch gewusst!“

Kulturelle Unterschiede in der Beratung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen

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Es ist wirklich bedauerlich, dass sich viele Expats hier nicht wohl fühlen. Diese Unzufriedenheit und das Gefühl, nicht erwünscht zu sein, können bei einigen zu einer persönlichen Krise und starker Einsamkeit führen. In der Jugendseelsorge Zürich bieten wir auch für solche jungen Erwachsene aus anderen Ländern Beratungen und Therapien an, sogar in Englisch oder Spanisch. Es ist dabei sehr wichtig, die unterschiedlichen kulturellen Hintergründe zu kennen und anzuschauen, so dass Missverständnisse oder Fehlinterpretationen vermieden werden können. Auch hilft es, sich mit den eigenen Wertvorstellungen und Erwartungen auseinanderzusetzen, um so sein eigenes Verhalten gegenüber den anderen zu verändern und falsche Vorannahmen zu verhindern.

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Claudia Haag ist Psychologin und Psychotherapeutin bei der Jugendseelsorge Zürich

www.jugendseelsorge.ch

claudia.haag@jugendseelsorge.ch