Seelenmüll? In den Kübel damit!
Wie entsorgt man kirchlichen Betriebs-Müll? Wie wird man belastenden Seelenballast los? Solche Fragen stellte sich Diakon Felix Zgraggen – und fand eine kreative Antwort: Wir machen eine Sack-und-Asche-Wallfahrt , sammeln mit dem Müllwagen zwischen Zürich und Wädenswil „Betriebs-Müll“ und fahren ihn bis zur Heiligen Pforte vor den Kloster Einsiedeln. So geschah es dann auch am bitterkalten und trüben Aschermittwoch. Felix Zgraggen erzählt von Begegnungen und Eindrücken.
Per Zug zum Auto zum Güselwagen
Los ging es an diesem Aschermittwoch mit der Zugfahrt nach Oerlikon. Dort traf ich die Journalistin Melanie Beetschen von Radio Life Channel , die uns den ganzen Tag begleitete. Peter Kreuzer, der Leiter Gruppe Datenmanagement, fuhr uns mit einem Auto von „Sauberes Zürich“ zur Garage an der Hagenholzstrasse, wo eine Tasse heisser Kaffee und der Müllwagen bereitstanden. In der Besprechung mit dem Teamleiter und dem Chauffeur Heinz Reinhard wurde schnell klar, dass die Entsorgungsprofis im Alltag andere Abfallvolumen gewohnt sind als der heutige Tag bringen würde. Dass betriebsintern spontan eine kleine Spendensammlung durchgeführt wurde, um die Unkosten klein zu halten, hat mich sehr überrascht und auch gefreut.
Zwischenhalt: Herz-Jesu Oerlikon
Einen ersten Halt legten wir bereits bei der Herz-Jesu-Kirche in Oerliko n ein. Mit violetter Mütze und Stola ausgerüstet, erwartete uns in der Kälte bereits der kürzlich zum Diakon geweihte Manfred Kulla und erteilte uns den Reisesegen.
Ein ganzes Buch mit Anliegen
Quer durch die Stadt führte uns die Route an die Beckenhofstrasse zur Behindertenseelsorge und dem Frauenbund. Der ebenfalls vor einem Monat geweihte Diakon Stefan Arnold übereichte uns den ersten Sack mit Notizen. In seinem Team hatten alle ein Couvert bekommen mit Informationen und konkreten Fragen zu „Sack und Asche“.
Stefan Arnold wusste auch zu berichten, dass in der orthodoxen Liturgie jeweils ein Diakon während dem Gottesdienst unter das Volk geht und anschliessend alle gesammelten Anliegen sowie Fürbitten dem Priester an den Altar bringt.
Nicht nur einen Sack mit Zetteln, sondern gar ein ganzes Buch mit gesammelten Anliegen gab Barbara Acklin vom Frauenbund mit zur Heiligen Pforte.
Als Chauffeur Heinz Reinhard die erste «Beute» in Händen hatte und diese schwungvoll in den Lastwagen warf, konnte er sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Eine solche Fuhre hatte er wahrlich noch nie transportiert.
Der Pfarrer auf der Strasse
Ein paar Kurven weiter wartete bei der Liebfrauenkirche bereits Pfarrer Josef Karber mit zwei gefüllten Abfallsäcken.
Gut zwei Wochen lang stand in der Liebfrauenkirche ein Sammelbehälter, und auch in der Aschermittwoch-Liturgie konnten die Gläubigen noch Lasten aufschreiben und mitgeben. Josef Karber hat damals auf meinen Anruf hin, gleich sein Predigtkonzept verworfen und die Herausforderung von Sack und Asche zu Beginn der Fastenzeit zum Thema gemacht. Eine Frau aus der Pfarrei hat ihm extra einen violetten Stoffsack genäht mit der Aufschrift „Müll-Wallfahrt“. Der Pfarrer könne doch nicht einfach so mit einem «Güselsack» an der Strasse stehen. Wir entnehmen den schwarzen Sack vor dem Einwerfen und retten die schöne Tasche.
Nächste Station: Generalvikariat
Nächste Station Hirschengraben 66. Hier sind das Generalvikariat und der Synodalrat zuhause: Chauffeur Heinz kurvt unser Gefährt so schwungvoll durch die engen Gassen und um die Ecken, dass die Reporterin und ich die Luft anhalten. Er lacht nur. Erwartet werden wir von Informationsbeauftragten des Generalvikariats, Arnold Landtwing und Simon Spengler, dem Verantwortlichen für Kommunikation des Synodalrats. Im Eingangsbereich des Centrum 66 war eine Woche lang eine Sammelstation aufgestellt, die zum Mitmachen einlud. So konnten der Generalvikar, die Synodalräte, alle Angestellten und Besucher ihren «Seelenmüll» einwerfen. Angesichts des Volumens dürfte hier einiges zusammengekommen sein.
Ein schelmisches Schmunzeln konnte sich Arnold Landtwing nicht verkneifen, als er feststellte, dass der Güselwagen zwar mit Zürcher Nummernschild unterwegs war, auf der Seite jedoch den Churer Steinbock als Wappentier trug. Tatsächlich handelte es sich um ein Originalfahrzeug der Churer Abfallentsorgung. Und vom Steinbock wusste ich, dass Graubünden damals das Wappen des Churer Bischofs übernommen hatte. Mindestens war mit dieser kleinen Episode die Frage beantwortet, ob Gott Humor habe. Zweifelsohne: Er hat.
Auf die Frage von Melanie Beetschen, was er denn zu kritischen Stimmen gegenüber dieser Wallfahrt denke, meinte Arnold Landtwing:
„Das Lebendige in der Kirche hat schon immer die bedroht, die es nicht mögen, wenn es zu viel Leben hat in der Kirche. Es ist eine symbolische Aktion, die ich sehr kreativ finde und die daran erinnert, was man das ganze Jahr machen könnte: immer wieder etwas loswerden, was einem nicht mehr guttut.“
Wallfahrt mit Panoramasicht
Gegen Mittag drückte langsam die Sonne durch den Nebel, der frisch verschneite Üetliberg leuchtete hell, und in der Kabine des Lastwagens genossen wir eine Aussicht wie im Panoramawagen.
Seit Wochen war die „Sack-und-Asche-Wallfahrt“ in Sendungen von Radio Maria in Adliswil ein Thema gewesen. Moderatorin Corinne Rellstab hatte die Hörerinnen und Hörer über die Wallfahrt informiert und eingeladen, alles per Telefon zu melden, was sie gerne mitgeben möchten. Auch da ist ein Sack voll zusammengekommen. Das ganze Team war präsent und lud uns ein zu Kaffee und Tee. Anschliessend zeigte uns Corinne Rellstab das Radiostudio und die hauseigene Kapelle.
Die beinahe barmherzige Putzfrau
Kirche Felix und Regula, Thalwi l: Wir parken den Güselwagen zwischen Kirche und Pfarrhaus und klingeln um 12 Uhr beim Pfarrhaus. Vom ersten Moment an hat die Müllwallfahrt Pfarrer Marius Kaiser fasziniert und er fand:
„Ein guter Gedanke! Darum habe ich bei den Mitarbeitenden eine Umfrage gemacht, damit sie überlegen, was sie gerne loswerden möchten an konkretem Müll oder auch Geistigem.“
Er zeigte uns seine Sammelstation beim Eingang des Pfarrhauses, die vom gesamten Personal genutzt werden konnte. Was mit moderner Kunst schon geschehen ist, hätte sich beinahe auch hier abgespielt: Die Putzfrau war in ihrem Eifer drauf und dran, den schwarzen Sack selber zu entsorgen. Im letzten Augenblick konnte der Pfarrer das verhindern.
Pfarrer Kaiser lud uns spontan zum Mittagessen ein und brachte uns mit seinem PW in den Gotthard-Träff , wo wir ein ausgezeichnetes Mittagessen serviert bekamen. Die katholischen in unserer Runde verzichteten selbstverständlich brav auf die Bratwurst am Fasttag.
Von der Sammeltour zur gesammelten Tour
Da wir weniger Zeit für das Mittagessen brauchten als geplant, konnten wir die Fahrt dem See entlang geniessen und kamen wir frühzeitig in Wädenswil an, was die Journalistin gleich nutzte, den Lastwagen eine Extrarunde drehen zu lassen, damit sie die Ankunft filmen konnte. In der Kirche bauten wir die letzte Sammelstation ab und warten vor dem Hauptportal auf die Wallfahrer der Pfarrei Wädenswil .
Um 14.30 Uhr waren die letzten Wädenswiler Lasten im Sack, und wir beteten reihum für einen offenen Geist für Menschen in Not und Gottes Barmherzigkeit. Pfarrer Peter Camenzind erteilte den Fuss- und Bahnpilgern den Reisesegen.
Premiere in Einsiedelns 1000-jähriger Wallfahrtsgeschichte
Ankunft in Einsiedeln. Der grau-rote Güselwagen machte sich erstaunlich gut zwischen dem Sandstein der Klosterfassade und der Pforte der Barmherzigkeit .
Die Besucher der Klosterkirche schauten zuerst etwas skeptisch, merkten aber bald, dass diese Aktion heute ihre Richtigkeit haben musste. Nach einem kurzen Fototermin wendete Chauffeur Heinz den Lastwagen und fuhr zum Treffpunkt beim Marienbrunnen auf der unteren Seite des Klosterplatzes.
Pater Philipp
begrüsste uns 15.45 Uhr und meinte, das sei das wohl die erste «Güsel- oder Müllwallfahrt» in der über 1000-jährigen Geschichte der Einsiedler Wallfahrt.
Beichten reinigt… und wärmt
In einem kurzen Gottesdienst empfingen wir das traditionelle Aschenkreuz und stiegen in einem Stationenweg betend zur Heiligen Pforte und schliesslich zur Marienkappelle in der Klosterkirche. Beim Durchschreiten der Heiligen Pforte wehte ein eisiger, heftiger Wind und blies uns die Kälte bis aufs Mark durch. – Was hatte das zu bedeuten? Barmherzigkeit wird einem zwar geschenkt, aber jede Gottesbegegnung hinterlässt ihren eigenen «Schrecken»? – Anschliessend feierten wir das Vespergebet der Mönche mit. Wer sich für eine Beichte entschied, konnte sich in der angenehm beheizten Beichtkapelle aufwärmen. Die Gruppe traf sich noch zu einem Tee in einem nahegelegenen Hotel.
Barmherzigkeit schliesst den Kreis
Heinz Reinhard fuhr den Güselwagen am Ende des Tages zurück nach Zürich und übergab die gesammelte Seelenlast und den kirchlichen Betriebsmüll dem reinigenden Feuer der Verbrennungsanlage.
Bis in den Abend hinein galt es dann noch, aufzuräumen, Fotos für die Presse zu verschicken und Auskünfte zu erteilen.
Am nächsten Tag, wieder etwas regeneriert, kam beim Anblick der vielen eindrücklichen Fotos grosse Freude und Dankbarkeit auf.
Da ist uns im Heiligen Jahr der Barmherzigkeit etwas gelungen! Herzlichen Dank allen, die mitgeholfen haben und die sich der persönlichen Herausforderung gestellt haben: Was ist es denn, was mich belastet und was ich Gottes Barmherzigkeit übergeben möchte?
Diakon Felix Zgraggen
Pfarrei Wädenswil
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In diesem Fall diskutieren wir gerne mit jemandem weiter, der den Mut hat, zu seinem Namen zu stehen, den er seit seiner Taufe trägt.
Arnold Landtwing, Informationsbeauftragter Generalvikariat
Lieber Felix
Nachträglich nochmals herzlichen Dank für Deine Initiative. Aus Abfall entsteht neues Bewusstsein und neue Zuversicht. Gruss. Heinz
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